Von der Hauskatze lernen: Mag er mich überhaupt?

D a ist es, das Rätsel auf vier Beinen, Kater Camillo, schwarz-weiß gemustert wie ein Kälbchen, aufrechter Gang, ungefähr zweieinhalb Jahre alt. Just in dem Moment, als ich in einer kleinen Redaktionsrunde über ihn spreche, steht er vor dem Fenster und blickt mich durchdringend an, leicht gespitztes Mäulchen, sehr, sehr ernst. Steht regungslos da, beugt sich nur einmal kurz herab, um eines der Vorderbeine zu putzen, sitzt danach wieder da wie zuvor.

Diesen Moment des stummen Dasitzens, einen Moment größter Anspannung und Fixierung zu unterbrechen, um sich zu putzen, wie schräg ist das bitte? Was willst du, geliebter Camillo, denke ich also in diesem Moment und spüre, was ich eben noch in der Redaktionsrunde gesagt hatte: Ich habe starke Gefühle für ihn, darüber würde ich gerne mal schreiben. Es ist – auch – Liebe, vor allem aber diese Unsicherheit, dieses fortwährende Rätseln, wer dieses Wesen ist, was es will, was es denkt, warum es tut, was es tut. Ich bin ein Forschender, auch wenn sich der Erkenntnisgewinn in engen Grenzen bewegt. Ich weiß, dass ich wirklich gar nichts weiß, das vermittelt er mir andauernd. Das erdet.

Kater Camillo also, im August 2023 kam er zu uns, da war er nach Schätzungen des Tierheims circa zehn Wochen alt und der einzige Kater unter vielen, vielen Hauskatzen, die darauf warteten, von fürsorglichen Menschen aufgenommen zu werden. Wir schlossen den Kleinen mit den riesigen Ohren gleich ins Herz, mir leckte er über den Unterarm, als ich ihn hielt.

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Warum frisst er nur Lachspastete auf Joghurtgelee, nie aber Wildpastete auf Aspik oder was anderes aus dem großen Sortiment?

Es war das erste Mal, dass ich einen Kater in den Armen hielt, die Tierheimfrau meinte, er verspüre Zuneigung, das sehe man – und ich spürte sie dann auch. Wir wollten einen Kater, weil meine Frau, die über langjährige Kater-Erfahrung verfügte, meinte, Kater seien nach der Kastration, die gesetzlich vorgeschrieben ist, die angenehmeren Zeitgenossen. Camillo hieß da noch Pünktchen. Weil uns das für einen Kater, der irgendwann ausgewachsen sein würde, zu niedlich vorkam, nannten wir ihn um. Camillo klang schön und passte, weil er am Rande eines Friedhofs wohnen würde. „Dann ist er ja immer richtig angezogen“, sagte auch die Tierheimfrau. Don Camillo, der Friedhofskater.

Habe ich etwas falsch gemacht?

Seitdem forsche ich ihm hinterher. Er hat nie wieder meine Hand abgeschleckt. Ist die Liebe erloschen, habe ich etwas falsch gemacht? Warum frisst er nur Lachspastete auf Joghurtgelee, nie aber Wildpastete auf Aspik oder was anderes aus dem Sortiment von Zoo Royale? Warum streicht er uns um die Beine, bis wir mit ihm zum Futternapf gehen, geht aber wieder weg, wenn wir ihm etwas hinstellen? Warum sitzt er manchmal mitten im Raum? Warum schnurrt er die ganze Zeit, läuft also quasi dauerbrummend durchs Haus? Ist das Wohlbefinden oder Angst? Geht es ihm gut? Warum bleibt er nachts manchmal draußen und manchmal nicht, steht dann aber um fünf Uhr morgens vor unserem Bett und will raus? Warum miaut er nicht? Wo ist er nachts, wenn er nicht eingekringelt auf einem Stuhl liegt? Warum freut er sich nicht, wenn wir nach dem Urlaub wiederkommen und wischt stattdessen, ohne uns anzublicken, raus, sobald die Tür einen Spalt geöffnet ist? Mag er uns?

Freunde mit Katzen sagen, sie würden genauso rumrätseln, und gemeinsam merken wir, wie fasziniert wir sind von diesen Tieren und wie es am Ende doch einfach nur tiefe, tiefe Liebe ist und Demut, weil sie uns zeigen, wie suchend wir sind, wie wenig wir wissen, wie viel Grauzone es gibt und dass man auch nicht alles voneinander wissen muss, um sich trotzdem gut zu verstehen.

Komm, Camillo, ich stell dir noch einen Happen Lachspastete auf Joghurtgelee hin.

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