Wahlen in Moldau: Wenn Propaganda und Religion verschmelzen

E s gab da diese Anekdote über meine Großtante Fenja. Man erzählte sie auf jedem Familientreffen: Fenja sei krumm wie ein Fragezeichen und arbeitswütig. Auf dem Feld habe sie auf den Knien mit rundem Rücken nach Kartoffeln gegraben, sei plötzlich zusammengesackt, eingeschlafen – und nach dem Aufwachen habe sie einfach gleich weitergebuddelt.

Wir lachten, wenn mein Onkel die Geschichte erzählte. Doch sobald wir die Straße ins moldauische Dorf hinunterfuhren, wurde die Pointe zur traurigen Realität. Tante Fenja war tatsächlich ein Mensch gewordenes Fragezeichen, eines, das nur harte Arbeit kannte – und Gott.

In Dörfern wie diesen, fernab der Hauptstadt Chișinău, ist die Kirche oft die einzige Institution von Gewicht. Sie sagt, wie zu leben sei, sie deutet die Welt. Ich fragte Tante Fenja einmal, ob sie nicht wütend sei über die Armut, in der sie lebte. Ihre Antwort war stets dieselbe: Gott wolle es so, Gott werde es richten. Politiker interessierten sich nicht für ihr Dorf, also blieb nur die Kirche.

Damals erschien mir das wie eine private Glaubensgeschichte. Heute, kurz vor den Parlamentswahlen in Moldau am 28. September, zeigt sich, wie sehr dieser Glaube auch politische Waffe ist. Die orthodoxe Kirche in Moldau ist Zuflucht und Machtfaktor zugleich – und längst ein Instrument in Russlands Kampf um Einfluss.

Konkurrieren um Gläubige

In der Republik Moldau sind zwei große orthodoxe Kirchen vertreten: die Moldauisch-Orthodoxe Kirche (BOM), die dem Moskauer Pa­tri­ar­chat untersteht und die größte Konfession darstellt, und die Metropolie von Bessarabien, die zur Rumänisch-Orthodoxen Kirche gehört. Beide konkurrieren um Gläubige.

Moldaus Präsidentin Maia Sandu spricht von einer der „folgenreichsten Wahlen“ im September und warnt vor massiver russischer Einflussnahme. Sie wirft den Kirchen vor, aggressive Propaganda aus dem Ukrainekrieg zu übernehmen. In Predigten werde Europa als „Hort des Bösen“ gebrandmarkt, während Russland sich als Verteidiger „wahrer Werte“ inszeniere. Wer für die EU stimme, so die Botschaft mancher Priester, stelle sich gegen Gott. Dasselbe Muster kennen wir aus dem Ukrainekrieg: Die Russisch-Orthodoxe Kirche segnet Waffen, stilisiert den Krieg zur heiligen Mission, verklärt gar den Märtyrertod – fast so, wie man es von islamistischen Ideologien her kennt: Wer für das Vaterland falle, werde von seinen Sünden erlöst.

Russische Desinformationskampagnen sind Teil einer globalen Strategie: In den USA zielen sie darauf ab, politische Polarisierung zu verstärken, was indirekt Trump nützen kann; in Europa soll die Einigkeit geschwächt werden. In Moldau aber konzentrieren sie sich auf die Demontage von Maia Sandu – oft mit frauenfeindlichen Mitteln. Sandu wird als „Hexe“, „westliche Marionette“ oder als „kinderlose Frau“ diffamiert, die „keine Werte“ verkörpere.

Die Kirche ist dafür ein perfekter Resonanzraum: Priester genießen Autorität in Regionen, in die Politiker kaum vordringen. Ihre Worte erreichen jene, die ohnehin verunsichert sind – und verknüpfen das Weltgeschehen mit moralischen Kategorien von Gut und Böse.

Das Stimson Center, ein Forschungsinstitut in Washington, nennt Moldau „ein Testfeld für hybride Kriegsführung“, deren Methoden künftig auch anderswo in Europa zum Einsatz kommen dürften. Was dort passiert, hat also Bedeutung weit über die Landesgrenzen hinaus: Propaganda, Religion und Desinformation verschmelzen zu einem Instrument, das Demokratien unterwandert.

Tante Fenja hat daran geglaubt, dass Gott einen Grund hätte, sie abgehängt leben zu lassen. Für sie war das Trost, wenn auch ein trügerischer. Heute hat derselbe Glaube eine größere Tragweite – und kann mitentscheiden, ob Moldau den Weg in die Europäische Union schafft.

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