Bereits der Titel des X-Talks zwischen dem Tech-Oligarchen Elon Musk und der AfD-Chefin Alice Weidel war eine Lüge – angekündigt war „ein Gespräch mit der führenden Kandidatin für das Kanzleramt.“ Danach wurde es nicht viel besser: Ins Gespräch stieg Musk ebenfalls damit ein, dass Weidel die aussichtsreichste Kandidatin im Rennen um die Kanzlerschaft sei – obwohl die extrem rechte Partei nach elf Jahren Radikalisierung bislang ohne jegliche Koalitionsoptionen ist und mit unter 20 Prozent deutlich hinter der CDU liegt.
Es folgte eine Dauerwerbesendung für die AfD, in der die autoritär-nationalradikale Partei durch den reichsten Mann der Welt eine Bühne gebaut bekam, um sich selbst zu verharmlosen. Weidel spulte in etwas holprigem Schul-Englisch ihre Standardpunkte ab, offenbar ohne sich gut auf das Gespräch vorbereitet zu haben. Die Folge waren zahlreiche Verdrehungen, Halbwahrheiten und rechte Verschwörungsideologie zum Impfen und zur Energiepolitik. Natürlich kam Musk auch auf seinen Lieblingsfeind George Soros zu sprechen, ein beliebtes Ziel antisemitischer Verschwörungserzählungen.
Kritische Nachfragen gab es erwartungsgemäß keine – dafür umso mehr Geschichtsrevisionismus wie die schmerzfreien Umdeutungsversuche zu Hitler. Entsprechenden Zitate verbreitete Musk im Anschluss an das Gespräch als X-Posts. Das Interesse am Livestream blieb wohl trotzdem unter den Erwartungen zurück: Im Maximum verfolgten um die 200.000 X-Accounts das Gespräch. Eine Lanz-Sendung hat deutlich mehr Quote – und sicherlich weniger Bots.
Weidel kriecht vor Musk
Unangenehm anzusehen war insbesondere, wie sich Weidel vor dem Tech-Milliardär in den Staub warf: Sie kicherte über seine Witze und fragte ihn anbiedernd nach seinen Mars-Plänen. Schon vor dem Gespräch hatte sie sich per Videobotschaft für dessen Wahlaufruf bedankt, den Musk zuletzt auch im Springer-Blatt Welt platzierte und im Gespräch mit Weidel nun erneuerte.
Diese bauchpinselte Musk dafür, dass er sich für die Meinungsfreiheit einsetze – wohlgemerkt, nachdem dieser die Community-Regeln seiner Social-Media-Plattform geschliffen und unzählige Accounts von Neonazis und Rechtsextremen reaktiviert hat. Die Hassrede ist auf X seither regelrecht explodiert.
Weidels Unterwürfigkeit gipfelte darin, dass sie sich überschwänglich dafür bedankte, dass sie Musk noch eine Frage zur Besiedelung des Mars stellen durfte. Nach einer nicht enden wollenden Science-Fiction-Abhandlung fragte Weidel noch: „Do you believe in god“ – „glaubst du an Gott?“. Er sei sich nicht sicher, antwortete Musk, er glaube an die Physik, gleichwohl sei möglich, dass es irgendeine höhere Entität gäbe.
Weidel antwortete mit starkem deutschen Akzent: „Same here, I’m also still on a search, i don’t know what to believe.“ („Geht mir genau so, ich bin auch noch auf der Such, ich weiß nicht, was ich glauben soll.“) An einer Stelle sagt Musk, dass beim Raketenbauen kritisches Feedback wichtig sei. „Yes“, war Weidels weniger kritische Antwort. Musk äffte sie nach: „Yes, Yes, Yes“ und lachte darüber. Dann lachte auch Weidel. Ein Moment, der zur Definition des Wortes „Cringe“ im Duden stehen könnte.
Beobachter für den Digital-Services-Act
Mitleid ist angebracht für die bis zu 150 EU-Offiziellen, die das Gespräch verfolgen mussten, um zu prüfen, dass Musk nicht gegen den Digital-Services-Act der EU verstößt – etwa, indem er die Algorithmen frisiert. Nach einem moralischen Totalausfall von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg stehen Social-Media-Plattformen unter besonderer Beobachtung. Auch der Bundestag prüft bereits, ob Musks Wahlkampfhilfe eine illegale Parteienspende sein könnte.
Das Clowneske des Gesprächs hätte fast lustig sein können, wenn es nicht auch bitterernst wäre: Hier greift der reichste Mann der Welt erneut massiv in die Innenpolitik einer liberalen Demokratie ein, um autoritäre und rechtsextreme Gruppen zu pushen. Zuerst tat Musk es in den USA, dann in Brasilien, dann in England, jetzt tut er es in Deutschland. Man darf davon ausgehen, dass es nicht die letzte Intervention Musks war. Nach dem von ihm mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützten Trump-Wahlsieg hat Musk offenbar Geschmack daran gefunden, auch andere autoritäre Formierungen zu stärken.
Der globale Oligarch
Die Soziologen Caroline Amlinger und Oliver Nachtwey nannten ihn in der FAZ jüngst den ersten globalen Oligarchen, weil er durch den Kauf von Twitter einen Hebel habe, „um auch in andere politische Systeme disruptiv einzugreifen“. Das habe sich etwa bei den pogromartigen Krawallen in mehreren englischen Städten im letzten Jahr gezeigt, vor denen Musk rassistisch agitierte und Desinformationen verbreitete.
Ideologisch sei Musk dabei in den letzten Jahren nach verschiedenen Triggern, vor allem seit Corona-Beschränkungen während der Pandemie vom politisch liberalen zum autoritären Agitator geworden – vor allem, weil egalitäre Diversitätsforderungen die Leistungsgerechtigkeit bedrohten. Seine disruptive Rebellion gegen die liberale Demokratie stammten dabei aus einer radikalisierten kalifornischen Ideologie, in der Technologie die Welt verbessern und den Einzelnen befreien soll.
Hinzu kommt sicher eine gute Portion ökonomischer Eigennutz, etwa wenn Musk im Auftrag von Trump bald Behörden zurecht stutzen darf, die seinen Firmen etwa Umweltregulierungen auferlegten.
Fremdscham auch von rechts
In Weidels rechter Bubble kam das Gespräch allerdings nicht bei allen gut an: Nach dem Ende des Talks dauerte es keine zwanzig Minuten, bis etwa Weidels politische Feinde die zahlreichen peinlichen Momente ansprachen, wiederum auf X: Ihr gerade ausgetretener Intimfeind Dirk Spaniel schrieb: „Das Gespräch Musk/Weidel hat heute allen, die es verstanden haben, die Augen geöffnet, wer da Kanzler werden will … Schade um die Chance.“
Und auch der völkische Aktivist Philipp Stein fällte ein vernichtendes Urteil: „Dieses Gespräch kann sich niemand anhören, der noch bei Verstand ist“. Bei den Völkischen mit stramm antiamerikanischer Haltung dürfte das anbiedernde Gespräch also eher für Fremdscham gesorgt haben. Und vermutlich hat sich Weidel am Ende ein Gefallen damit getan, dass sie es war, die das Gespräch nach 75 Minuten etwas abrupt abwürgte.