Chef der Deutschen Umwelthilfe: „Merz’ Energiepolitik ist ziemlich irrlichternd“

taz: Die Deutsche Umwelthilfe hat Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Worum geht es?

Jürgen Resch: Die Ampelregierung hat im vergangenen Jahr das Klimaschutzgesetz entkernt. Und zwar so stark, dass Deutschland auf Jahre nicht den Beitrag zum internationalen Klimaschutz leistet wird, der angemessen wäre und international verbindend zugesagt wurde. Wir wollen durch unsere Beschwerde erreichen, dass das rückgängig gemacht wird: Das jetzige Klimaschutzgesetz verstößt gegen die Verfassung.

taz: Die Regierung der Ampel ist Geschichte, warum gibt es noch kein Urteil?

Resch: Weil das Bundesverfassungsgericht wie alle anderen Gerichte auch eine entsprechende Sachaufklärung herbeiführt. Es gibt der beklagten Seite Gelegenheit zur Stellungnahme und bittet Experten um Einschätzung. Das braucht seine Zeit. Bis zum Urteil unserer ersten Verfassungsbeschwerde aus dem Jahr 2020 sind ein Jahr und vier Monate vergangen. Eine Verfassungsbeschwerde richtet sich aber nicht gegen eine bestimmte Bundesregierung, sondern gegen verfassungswidrige Gesetze. Und die bestehen weiterhin.

taz: Im besagten ersten Verfahren urteilte das höchste deutsche Gericht im April 2021: Die aktuelle Politik der Regierung von Angela Merkel (CDU) verstößt gegen die Rechte kommender Generationen. Mit welcher Wirkung?

Im Interview: Jürgen Resch

geboren 1960, ist seit 1988 Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH)

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Resch: Das Klimaschutzgesetz wur­de unmittelbar danach korrigiert, das deutsche Klimaziel von minus 55 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 auf minus 65 Prozent angehoben. Instrumente wie etwa die Sofortprogramme sollten garantieren, dass dieses Ziel auch eingehalten wird. Die Ampel hat diese aber aus dem Gesetz gestrichen.

taz: Jetzt hat der Internationale Gerichtshof ein Gutachten veröffentlicht, nachdem es ein Menschenrecht auf Klimaschutz gibt: Wer Klimaschutzpflichten verletzt, muss betroffene Staaten für ihre Probleme entschädigen. Welchen Einfluss hat das auf Ihre Verfassungsbeschwerde?

Resch: Sicherlich keine schmälernde. Mit seiner Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht vor vier Jahren Klimaschutz eine derartige Verbindlichkeit vermittelt, dass sich daraus Gesetzesrang ableiten lässt. Wenn jetzt der Internationale Gerichtshof zusätzlich sagt, dass zu wenig Klimaschutz Schadensersatzansprüche durch Betroffene rechtfertigt, ist dies ein weiteres starkes Argument für unsere Verfassungsbeschwerde. Allerdings halte dieses neue Argument gar nicht für notwendig dafür, dass das Bundesverfassungsgericht unserer Beschwerde Recht geben kann: Mit dem jetzigen Klimaschutzgesetz kann sich die Politik mit Tricks über Jahre hinaus in die Tasche lügen, dass ihre Klimaschutzpolitik funktioniert. Um 2030 dann zu merken, upps!, wir haben das Ziel wieder nicht erreicht.

taz: Das bedeutet: Auch auf die Bundesrepublik kommen solche Schadenersatzansprüche zu?

Resch: Das tun sie doch schon heute. Weil Deutschland im Verkehrssektor einfach nicht zum Klimaschutz bereit ist, müssen wir am Ende des Jahrzehnts viele Milliarden Euro Strafe an die EU zahlen, weil wir unsere Verpflichtungen nach dem europäischen Lastenteilungsverfahren in diesem Sektor dramatisch überschreiten. Die Bundesregierung könnte die Strafzahlungen höchstens dann noch vermeiden, wenn sie ganz schnell mit einem Tempolimit und anderen Maßnahmen die Treibhausgas-Emissionen im Verkehrsbereich senkt. Weil sie das aber nicht tut, sind wir doppelt gestraft: Das kostet erstens Geld, dass wir zweitens dann nicht mehr für Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland ausgeben können.

taz: Das Abkommen von Paris bietet Gelegenheit, jenes Restbudget eines Landes zu berechnen, dass für ein Erreichen des 1,5-Grad-Ziels noch zur Verfügung steht. Der Klimarat der Bundesregierung hat errechnet, dass das deutsche Budget seit Frühjahr 2024 aufgebraucht ist. Macht sich die Regierung Merz schuldig?

Resch: Jede der vergangenen Bundesregierungen trägt Schuld, weil sie nicht genug Klimaschutz betrieben hat, um unsere Kinder und Enkel zu schützen. Aber uns geht es nicht darum, später mal Schuldige zu benennen für eine Klimakatastrophe, die nicht verhindert wurde. Sondern wir verändern mit unseren erfolgreichen Klimaklagen hier und heute das Regierungshandeln, damit es erst gar nicht zur Katastrophe kommt.

taz: Vor seinem Amtsantritt glaubten Experten, dass Friedrich Merz ein Klimakanzler wird. Hat er noch eine Chance?

Resch: Noch hat er die Chance. Allerdings erlebe ich Kanzler Merz ziemlich irrlichternd in der Energiepolitik. Er hat noch keine richtige Linie gefunden, sondern lässt seine Energieministerin Katherina Reiche eine Politik für die fossilen, alten Industrien betreiben. Würde er aber einmal analysieren, welche Strahlkraft kleine und mittelständische Unternehmen besitzen, die hochgradig innovativ im Energiebereich sind, käme er sicherlich zu einer anderen Politik.

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