Alltag als Frau: Catcalling nervt!

M änner kommen zu nah, Männer grapschen, Männer masturbieren in der U-Bahn, Männer verfolgen einen bis zur Endstation. Nichts Neues, man hat sich schon fast daran gewöhnt. Auch an den Frust, daran nichts ändern zu können – deshalb müssen neue Strategien her.

Auf der Treppe zur S-Bahn kommt mir ein Mann entgegen. Es ist spät am Abend, wir sind allein. Es gibt verschiedene Arten von Blicken. Zufällige, freundliche. Und dann gibt es noch diese andere Art Blicke, die der Mann mir jetzt zuwirft. Seine Augen scannen meinen Körper, dann grinst er.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

=”” div=””>

Die Kleidung fühlt sich auf einmal fremd auf meiner Haut an. Saß mein Rock die ganze Zeit schon so tief? Ist mein Top zu knapp? Ich trage keinen BH, verschränke die Arme vor der Brust. Die Treppe kommt mir endlos lang vor. Das komische Bauchgefühl täuscht einen fast nie: Ein paar Stufen vor mir wird er langsamer. Dann bleibt er stehen und spricht mich an.

Ich stumpfe nicht ab, wenn es um Catcalling geht. Ich werde empfindlicher. Früher war ein Anmachspruch nur ein Anmachspruch. Kurz nervig, schnell wieder vergessen. Ich habe dagegengehalten, Männer zurechtgewiesen, wenigstens sarkastisch gekontert. Jetzt rast mein Herz. Ich habe keine Kraft mehr, zu kontern. Stattdessen halte ich die Luft an, schalte in den Abwehrmodus: Ignorieren, weitergehen. Hoffen, dass er es auch tut.

Es sind Abläufe, die wie mechanisch in Gang gesetzt werden, wenn ich nachts alleine unterwegs bin. Nicht lächeln, kein Blickkontakt, die Straßenseite wechseln. Den Bahnsteig scannen, dann die einfahrende Bahn. Männergruppen? Bloß nicht. Neben wen setze ich mich? Wer sieht am wenigsten betrunken aus? Auf den letzten Metern bis zur Haustür Schlüssel in die Hand, Kopfhörer nur auf einer Seite.

Ich will mich sicher fühlen dürfen

Stelle ich damit Männer unter Generalverdacht? Ja, ein bisschen schon. Natürlich weiß ich, dass die meisten Männer mir nichts Böses wollen. Aber ich weiß auch, dass nicht alle Menschen Einbrecher sind, und schließe trotzdem meine Wohnung ab. Ich bin nicht allein mit dem Gefühl, mich schützen zu wollen.

Bei Uber kann man in einigen Großstädten jetzt die Option „Women Drivers“ wählen, um nicht von einem Mann nach Hause gefahren zu werden. Letztes Jahr haben Berliner Grüne Frauen-Abteile in der U-Bahn gefordert. In ausgewiesenen Waggons sollen zu bestimmten Uhrzeiten Männer nicht mitfahren dürfen.

Ist das die Lösung? Sich einfach abschotten von der „Bedrohung Mann“?

Natürlich nicht. Ich will mich nicht erst dann sicher fühlen dürfen, wenn ich in einem Waggon auf einem rosa Polster sitze. Mehr noch, ich will mich nicht schon aus fünf Metern Entfernung auf eine mögliche Grenzüberschreitung vorbereiten. Mich nicht fragen, ob der Mann mir gleich folgt, wenn ich ihn abweise. Viel lieber will ich wieder offen sein, gutgläubig. Aber zu oft hat sich ein mulmiges Gefühl bestätigt, zu oft ist vermeintliche Paranoia wahr geworden.

Ein Anmachspruch ist eben oft nicht nur ein Anmachspruch. Und dabei ist es fast egal, ob mich jemand auf der Straße Schlampe oder Schöne nennt. Jeder dieser Momente wirft mich in eine Realität, in der ich nicht leben will. Eine, in der ich Objekt bin. In der ich bewertet und irgendwie auch entmenschlicht werde.

Also halte ich weiter an meinen Strategien fest. Lächle lieber einmal weniger. Bin kühl zu jemandem, der es vielleicht nett gemeint hat. Vielleicht verpasse ich damit eine schöne Begegnung. Aber vielleicht schütze ich mich so auch vor einem Übergriff oder blöden Spruch, wie damals auf der Treppe. Misstrauen ist keine Anklage, sondern Selbstverteidigung.

  • informationsspiegel

    Related Posts

    Politische Repression in Hongkong: Tschüss, Demokratie
    • December 16, 2025

    China zieht die Daumenschrauben in der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong weiter an. Europa sollte genau hinsehen. mehr…

    Weiterlesen
    Umgang mit Alttextilien: Die Kosten alter Jeans und Pullis
    • December 16, 2025

    Immer mehr Klamotten auf dem Markt: Künftig müssen sich die Hersteller von Kleidung an den Entsorgungskosten beteiligen. Das weckt Begehrlichkeiten. mehr…

    Weiterlesen

    Nicht verpassen

    Politische Repression in Hongkong: Tschüss, Demokratie

    • 5 views
    Politische Repression in Hongkong: Tschüss, Demokratie

    Umgang mit Alttextilien: Die Kosten alter Jeans und Pullis

    • 5 views
    Umgang mit Alttextilien: Die Kosten alter Jeans und Pullis

    Diskussion über NS-Straßenname: Varel kommt nicht aus der Kriegsverbrecher-Sackgasse

    • 5 views
    Diskussion über NS-Straßenname: Varel kommt nicht aus der Kriegsverbrecher-Sackgasse

    „Projekt Halle“: Eine gesunde Arroganz

    • 4 views
    „Projekt Halle“: Eine gesunde Arroganz

    Ausstellung über Weihnachtsfeierkultur: „Das erste Weihnachten ohne Pappi“

    • 5 views
    Ausstellung über Weihnachtsfeierkultur: „Das erste Weihnachten ohne Pappi“

    „Urchristen“ auf dem Weihnachtsmarkt: Vegetarisch mit antisemitischem Beigeschmack

    • 5 views
    „Urchristen“ auf dem Weihnachtsmarkt: Vegetarisch mit antisemitischem Beigeschmack