Mit der Seawatch im Mittelmeer (3): „Ich glaube, wir sind bereit“

U m zwanzig nach sechs am Donnerstagmorgen kommt ein Mayday auf Kanal 16 rein. „Da ist ein Boot in Not, sie brauchen Hilfe!“, habe es auf der Notfrequenz des mobilen Seefunkdienstes geheißen, sagt Einsatzleiterin Eliora Henzler. Die Besatzung der Sea-Watch 5 hat sich um sie geschart, ein paar stehen, andere sitzen auf dem genoppten pvc-boden. Henzler schaut aus dem Fenster und zieht die Stirn in Falten.

Das Projekt Bordtagebuch

Zehn Jahre ist der Summer of Migration her, in dessen Verlauf hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen. Die taz widmet dem Thema einen Schwerpunkt – und schickt einen Redakteur auf das Seenotrettungsschiff Seawatch 5. In dieser Online-Kolumne und auf den Social-Media-Kanälen der taz berichtet Fabian Schroer vom Rettungseinsatz auf dem Mittelmeer. Alle seine Berichte und Videos finden Sie hier im Bordtagebuch.

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Über acht Stunden Fahrt sind es. Die Funker identifizieren sich nicht, vielleicht seien es Fischer gewesen, wird auf der Brücke spekuliert. Die Position liegt nahe der Insel Lampedusa, damit sei die italienische Küstenwache zuständig. Trotzdem ändert das Seenotrettungsschiff seinen Kurs, um dem Notruf nachzugehen.

Seit Tagen pflügt die Sea-Watch 5 durchs Mittelmeer. Tag und Nacht laufen die Maschinen, die das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 8 Knoten, etwa 15 km/h, in Richtung der libyschen Search and Resuce Region (SRR) bewegen. An einigen Orten an Deck ist es so laut, dass man sich nicht unterhalten kann. Inzwischen ist auch der Ausguck besetzt. Je eine Person steht vorn, eine achtern, backbord, steuerbord auf dem Brückennock und sucht mit dem Fernglas nach Booten, alle 15 Minuten wird gewechselt.

Kleine weiße Pflaster hinterm Ohr

Unter Deck fühlt es sich an, wie auf einem Karussell auf dem Rummel – eher ein Kinderkarussell allerdings, die Wellen sind nur etwa einen Meter hoch. Trotzdem tragen einige Besatzungsmitglieder bereits kleine weiße Pflaster hinter ihren Ohren. Die Präparate der Firma Baxter enthalten den Wirkstoff Scopolamin, der hilft, wenn man seekrank wird. Auf einer Atlantiküberfahrt habe sie einmal fünf Meter hohe Wellen erlebt, erzählt Matrosin Eva Keuter: Nach jedem Wellenberg eine Achterbahnfahrt in die Tiefe.

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Am Mittwoch fahre ich zum zweiten Mal mit auf Rettungsbootübung. Die beiden RIBs (Rigid Inflatable Boats) namens „Echo“ und „Alpha“, kleine Schlauchboote mit einem festen Rumpf, fahren mit etwa 30 Knoten deutlich schneller als das Mutterschiff. Das kann sehr vorteilhaft sein, wenn die Zeit knapp ist.

Einige Crewmitglieder und auch ich werden auf einem bananengelben Bötchen ausgesetzt, damit die RIB-Teams den Ernstfall proben können. Mohamed Sharaf, der kulturelle Mediator der Seawatch 5, steht vorn am Bug von „Alpha“, dem kleineren der beiden Boote und übergibt Rettungswesten, während er die vermeintlichen Schiffbrüchigen auf Arabisch, Englisch oder Französisch beruhigt.

„Ich kann kaum glauben, wieviel Arbeit in dieses Training gesteckt wird“, erzählt mir Mohamed Sharaf, als er in Rettungsweste und Helm aus dem Boot steigt. Er habe das Gefühl, sein Verständnis von Rettungsmissionen habe sich in den letzten Tagen stark verbessert. „Ich glaube wir sind bereit“, sagt er mit festem Blick.

Die RIB-Teams werden an diesem Tag nochmal rausfahren, weiter trainieren, im Ernstfall noch besser vorbereitet sein. Als der Kran „Alpha“ wieder an einem Drahtseil aus den Wellen hievt, leuchtet das orangene Boot bereits in der tiefstehenden Sonne.

Ein leeres Boot

Um halb 11 Uhr mittags am Donnerstag meldet Seabird, die Luftaufklärungsmission von Sea-Watch, dass ihre Flugzeuge den Bereich gesichert haben, auf den sich der Notruf vom morgen bezog. Ein leeres Boot sei entdeckt worden, kein Anzeichen von Menschen im Wasser. Ob das darauf hindeutet, dass hier bereits gerettet wurde, oder der anonyme Notrufer sich vertan hat, kann bis dahin niemand sagen.

Die Sea-Watch 5 nimmt wieder Kurs Richtung Süden. „Es könnte gut sein, dass wir ein paar Tage hin und her fahren, oder auch, dass wir morgen eine Rettung haben“, hatte Henzler bereits am Tag zuvor gesagt.

  • informationsspiegel

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