Amtsenthebung von Yoon Suk Yeol: Südkorea besteht den Stresstest

Seoul taz | Als Südkoreas Verfassungsgericht am Freitagmorgen die endgültige Amtsenthebung von Yoon Suk Yeol verkündete, reagierten die Menschenmengen in Seoul, wie so oft, mit überbordenden Emotionen: Die linken Demonstranten brachen in Jubelschreie aus, während bei den konservativen Yoon-Unterstützern Niedergeschlagenheit vorherrschte, teils auch offene Wut.

Doch schlussendlich akzeptierten auch sie das in ihren Augen unfaire Urteil. Der einzige gewalttätige Vorfall am Freitagabend war kaum der Rede wert: Ein wütender Mann schlug mit einem Baseball-Schläger das Fenster eines Polizeibusses ein. Weitere Tumulte wurden befürchtet, doch blieben letztlich aus.

Insofern hat die südkoreanische Demokratie den vielleicht schwerwiegendsten Stresstest in der noch jungen Geschichte des Landes erfolgreich überstanden. Denn auch die Regierungspartei gab unmittelbar nach dem Urteilsspruch bekannt, dass sie die Amtsenthebung akzeptieren werde. Die Autorität der Institutionen wurde nicht angezweifelt – immerhin.

Die vier Monate andauernde Staatskrise in Südkorea scheint also weitgehend überwunden. Denn der künftige Weg ist nun klar vorgezeichnet: Innerhalb der nächsten zwei Monate wird das Land Neuwahlen abhalten.

Spätestens Anfang Juni wird also die Zeit der Ungewissheit und des Machtvakuums vorüber sein. Das ist auch bitter nötig: Angesichts von Trumps Zoll-Orgien, Nordkoreas militärischer Aufrüstung und der wachsenden Konkurrenz aus China steht Seoul vor massiven Herausforderungen.

Erneute Polarisierung

Um diese zu meistern, bräuchte es eine Kultur des politischen Kompromisses. Doch die seit Jahrzehnten anhaltende Polarisierung innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft droht sich zu wiederholen.

Denn nach jetzigem Kenntnisstand scheint der linke Oppositionsführer Lee Jae Myung als aussichtsreichster Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen. Und der gilt als klassischer Populist, als polarisierender Politiker, der von seinen Anhängern blind verehrt und von den Konservativen geradezu verteufelt wird. Er wird die Gräben innerhalb der Bevölkerung sicher nicht überwinden können.

Die derzeitige Staatskrise hat die Spaltung zwar nicht hervorgebracht, aber doch sehr deutlich sichtbar gemacht: Begonnen hat sie in den Abendstunden des 3. Dezembers, als Yoon Suk Yeol völlig überraschend das Kriegsrecht verhängt hatte. Er beschuldigte während einer im Fernsehen übertragenen Rede, dass die Opposition von Kommunisten unterwandert sei und staatsfeindlich agieren würde. Beweise legte er für seine Vorwürfe keine vor.

Dann beorderte der 64-Jährige Sondereinheiten des Militärs, das Parlament abzuriegeln und – so schildern es hochrangige Augenzeugen – einzelne Abgeordnete zu verhaften. Dass es nicht zum Äußersten kam, ist wohl auch dem zivilen Ungehorsam der Soldaten zu verdanken.

Die Fußstapfen der Militärdiktatoren

Für die Zivilgesellschaft war Yoons radikales Handeln vor allem deshalb ein solch einschneidender Schock, weil er offensichtlich in die Stapfen der Militärdiktatoren trat, welche bis in die 1980er das Land mit eiserner Faust regierten. Das letzte Mal, als in Südkorea das Kriegsrecht verhängt wurde, hatte Chun Doo Hwan im Frühjahr 1980 den Schießbefehl gegen die Demokratiebewegung in der Stadt Gwangju gegeben – und den Tod hunderter Studenten verursacht.

„Ich bin wirklich besorgt um unsere Demokratie“, sagt eine Frau in ihren Enddreißigern, die in der südlichen Stadt Daegu ein Nachhilfe-Institut für Sprachunterricht betreibt: „Wenn Yoon nicht vom Amt enthoben wäre und damit durchgekommen wäre, dann könnten auch künftige Präsidenten auf die Idee kommen, das Kriegsrecht auszurufen“.

Ihre Sorge wird von den meisten Koreanern geteilt. Doch mindestens ein Drittel der Bevölkerung hat eine ganz andere Wahrnehmung auf die Ereignisse: Sie sehen Yoon als Verfechter der freiheitlichen Ordnung, als Patrioten, der die Werte der Nation mit Entschlossenheit verteidigt.

Doch schlussendlich könnte Yoon, wie bereits mehrere Präsidenten vor ihm, nach seiner Amtszeit hinter Gittern landen. Denn neben dem Amtsenthebungsverfahren muss sich der ehemalige Staatsanwalt nun auch noch strafrechtlich verantworten. So wird ihm unter anderem vorgeworfen, sich mit seiner Kriegsrechtsentscheidung des Aufruhrs schuldig gemacht zu haben. Darauf droht – zumindest theoretisch – die Todesstrafe.

In einem Brief hat sich Yoon am Freitag bei seinen Unterstützern gemeldet. Er bitte um Verzeihung dafür, die Erwartungen seiner Anhänger nicht erfüllt zu haben. Es sei ihm die größte Ehre gewesen, der Nation dienen zu dürfen.

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