ARD-Doku über „Vice“-Magazin: Oberkörperfreie Journalisten

„Vice“ stand einst für neuen, aufregenden, investigativen und unterhaltsamen Journalismus. Ein Sprössling davon: Thilo Mischke. Eine ARD-Doku zeichnet den Weg nach.

Als Journalistin möchte man etwas erschaffen, was Menschen berührt. Etwas Bereicherndes, das noch niemand aufgeschrieben hat. Das Medienunternehmen Vice war einmal sehr gut darin. Es verschob journalistische Grenzen, verstand als eines der Ersten das Internet und belieferte die Jugend mit Geschichten über Sex, Drogen und Punkkultur. Bis es 2023 in der eigenen Arroganz ertrank und Insolvenz anmelden musste.

Was ist aus dem sogenannten Gonzo-Journalismus des Medienunternehmens, der Subjektivität, Nähe und Grenzüberschreitung feierte, geworden? Eine neue ARD-Doku zeichnet den Aufstieg und Fall von Vice nach. Ein Sprössling dieser Kultur und Protagonist in der Doku ist der Journalist Thilo Mischke.

Die ARD setzt ihn ab diesem Jahr als neuen Moderator für das Kulturmagazin „Titel, Thesen, Temperamente“ ein. „Das, was ich heute mache und die letzten Jahrzehnte gemacht habe, ist ein Produkt von dem, was ich bei Vice gelernt habe“, sagt Mischke in einer Folge. Er ist das beste Beispiel, warum diese Art von hedonistischem Journalismus auch schlechte Seiten hat. Denn von der „Pimmelhaftigkeit der Medien“, wie Mischke das Verhalten in der Doku kritisch benennt, sowie von eigenen sexistischen und rassistischen Aussagen hat er sich selbst nicht ausreichend distanziert.

Er bleibt Teil einer männerdominierten Bro-Culture, die auch bei Vice das Leben für Frauen und Queers nicht sicher machte. Das reichte von Sprüchen über oberkörperfreie Jour­na­lis­ten bis zu Metoo-Fällen im US-amerikanischen Büro, bei denen zwei Führungskräfte entlassen wurden. Bedenklich, dass die ARD trotz massiver Kritik an Mischke bei der Personalie bleiben will.

Schade, dass so der Gonzo-Journalismus durch den Dreck gezogen wird. Denn das Dunkle der Welt mit Popkultur zu verbinden, wie Martina Kix es ausdrückt, ist eins der besten Dinge, die man sich angesichts der tausend Krisen vorstellen kann. Hoffen wir, dass dafür ein humorvoller, neuer Journalismus erfunden wird, der ohne Sexismus auskommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei!

Jetzt unterstützen

  • informationsspiegel

    Related Posts

    Washington Post cancelt Bezos-Karikatur: Demokratie ersäuft in Geld
    • January 6, 2025

    Die Washington Post verhindert eine Karikatur, die Jeff Bezos’ Nähe zu Trump kritisiert. Ein Symbol dafür, wie die USA in Richtung Oligarchie abdriften. mehr…

    Weiterlesen
    Karikaturistin Ann Telnaes: Schlussstrich unter „Washington Post“
    • January 6, 2025

    Die Zeichnerin fertigte eine kritische Karikatur an, die Inhaber Jeff Bezos zeigt. Weil die Redaktion dies nicht zeigen wollte, kündigte Telnaes nun. mehr…

    Weiterlesen

    Nicht verpassen

    Washington Post cancelt Bezos-Karikatur: Demokratie ersäuft in Geld

    • 1 views
    Washington Post cancelt Bezos-Karikatur: Demokratie ersäuft in Geld

    Karikaturistin Ann Telnaes: Schlussstrich unter „Washington Post“

    • 1 views
    Karikaturistin Ann Telnaes: Schlussstrich unter „Washington Post“

    Schlechte Laune am Montag: Der Montagsblues und die Gen Z

    • 2 views
    Schlechte Laune am Montag: Der Montagsblues und die Gen Z

    Im Berliner Karstadt am Hermannplatz: Mit Herr Lehmann auf dem Weg zur Kasse

    • 2 views
    Im Berliner Karstadt am Hermannplatz: Mit Herr Lehmann auf dem Weg zur Kasse

    Nach historischer Volksabstimmung: Im Yasuní wird noch gebohrt

    • 2 views
    Nach historischer Volksabstimmung: Im Yasuní wird noch gebohrt

    Religionsunterricht: Deutschlands heilige Kuh

    • 2 views
    Religionsunterricht: Deutschlands heilige Kuh