Autor über AfD-Tendenzen der CDU: „Das ist einfach nur saugefährlich“

taz: Herr Semsrott, Sie haben im Buch „Machtübernahme“ den autoritären Umbau durchgespielt, zu dem es kommen könnte, wenn die AfD regiert. Im taz-Interview sagten sie damals, die Rechtsextremen an der Macht wären wie „Seehofer auf Speed“. Ist nun schon CDU-Chef Friedrich Merz auf Speed?

Arne Semsrott: Tatsächlich ist es so, dass die Union jetzt mindestens im Bereich Asyl und Migration, aber auch in anderen Bereichen, auf Seehofers Speedkurs ist und damit letztlich auch auf AfD-Kurs. Das ist grundsätzlich vielleicht nicht überraschend, aber die Geschwindigkeit, mit der das passiert, schon.

taz: Sie wiesen zuletzt darauf hin, dass immer mehr Teile Ihres Buches bereits von der Union umgesetzt werden. Welche Bereiche sind besonders betroffen?

Semsrott: Überall dort, wo Rassismus und Klassismus auf unterschiedliche Arten in Erscheinung treten. Also Bereiche, in denen es darum geht, eine Unterscheidung zu treffen zwischen einer Normalbevölkerung und anderen Gruppen, die man als nicht zugehörig empfindet. Betroffen sind Menschen, die als nicht originär deutsch definiert werden, aber auch solche, die, aus welchen Gründen auch immer, erwerbslos sind.



Bild: Reuters


Im Interview: Arne Semsrott

Journalist und Aktivist, leitet das Informationsfreiheits-Projekt „Frag den Staat“ und sitzt im Vorstand von Lobbycontrol. Sein Buch „Machtübernahme“ (2024) wird auch auf der Bühne aufgeführt, das nächste Mal am 20. März im Berliner Mehringhoftheater.

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taz: Im Buch haben Sie geschrieben, dass der autoritäre Umbau in kleinen Etappen abläuft. Welche dieser Punkte hat die CDU denn konkret schon umgesetzt?

Semsrott: Der erste Punkt wurde schon von der Ampelkoalition umgesetzt: Ich hatte geschrieben, dass ein AfD-Innenminister der erste wäre, der wieder nach Afghanistan abschieben lässt. Das hat aber schon die Ampel getan. Von der CDU wiederum kommen jetzt Attacken auf die kritische Zivilgesellschaft, etwa durch die kleine Anfrage mit 551 Fragen, die durchleuchten sollen, wo zum Beispiel die Omas gegen Rechts ihr Geld herbekommen. Die sind in ihrer Art leider fast eins zu eins das, was ich für die AfD prognostiziert habe: Zuerst versucht sie über Kleine Anfragen die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und als Feinde zu markieren, um dann im nächsten Schritt die Förderungen wegzunehmen oder die Gemeinnützigkeit zu entziehen – und so eine Säule der kritischen Zivilgesellschaft wegzuschießen.

taz: Welche Szenarien aus Ihrem Buch haben sich noch bewahrheitet?

Semsrott: Große Demos mit einigen tausend Menschen vor dem Konrad-Adenauer-Haus für die Brandmauer. Auch die groß angekündigte Rückabwicklung der Cannabis-Legalisierung passiert wohl nicht. Das überrascht mich nicht – jetzt nach der Legalisierung ist es ein Wirtschaftsfeld, mit dem Menschen aus dem Umfeld der Union Geld verdienen können. Vielleicht müssen wir weitere Felder finden, auf denen die Union mit menschenfreundlicher Politik Geld verdienen kann?!

taz: Was sagt uns das alles, dass die CDU und davor die Ampel schon autoritäre Politik machen?

Semsrott: Es ist viel gefährlicher, wenn die Union AfD-Politik macht, als wenn die AfD in der Opposition selbst ihre Politik macht. Gegenüber den Forderungen der AfD gibt es immer noch viele Vorbehalte. Eine Brandmauer gegenüber CDU und SPD gibt es hingegen nicht. Am Sondierungspapier lässt sich sehen: Es gibt nur noch eine formelle und keine inhaltliche Brandmauer mehr. Das bedeutet, dass wir uns rekalibrieren müssen, sodass klar ist: Wir protestieren nicht gegen formelle Bündnisse, sondern gegen menschenfeindliche Inhalte – egal von wem sie kommen.

taz: Zumal ein Normalisierungs- und Verschärfungskreislauf entsteht: Die AfD hat im letzten Jahr ihre migrationspolitischen Forderungen nachgeschärft, auch weil Union und Ampelparteien ihre Positionen verschärft hatten …

Semsrott: Und der nächste Schritt findet sich im Sondierungspapier in der Forderung, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft unter Umständen den Pass zu entziehen. Das macht einen Unterschied zwischen „echten Deutschen“ und dem, was die AfD Passdeutsche nennt. So machen CDU und SPD klar: Dem einen kann der Pass entzogen werden, dem anderen nicht. Das ist klassisches neurechtes und antidemokratisches Gedankengut. Das ist einfach nur saugefährlich, verfassungswidrig und sollte in der Bundesrepublik nichts zu suchen haben.

taz: Im Sondierungspapier steht, entsprechende Maßnahmen sollen verfassungsrechtlich geprüft werden – was vermutlich ein Zugeständnis der SPD an die CDU war. Eventuell in der Hoffnung, dass es juristisch am Ende nicht machbar ist.

Semsrott: Das zeigt die Verantwortungslosigkeit der SPD: Diese Frage auf einen späteren Zeitpunkt zu legen und es dem Bundesverfassungsgericht zu übergeben, statt selbst für die Verfassung einzustehen. Das kann man ganz einfach nicht machen – Grundrechte müssen die rote Linie sein. Wenn man da mitmacht und sagt, das wird dann schon gerichtlich einkassiert, hat das mit demokratischer Politik nichts zu tun.

taz: Wie bekommen wir den verrutschten Diskurs wieder auf Höhe unserer demokratischen Grundwerte?

Semsrott: Es gibt viele kleine Antworten darauf. Es ist absolut richtig, jetzt bei den Omas gegen Rechts einzutreten. Es ist auch wirklich effektiv, gegen die Politik von SPD und Union zu demonstrieren und auf die Straße zu gehen und klarzumachen, dass man dagegen ist. Das zeigt ja die Kleine Anfrage: Es ist denen nicht egal, sondern hat einen Effekt, weil es auch im eigenen Bekanntenkreis wirkt. Besonders wichtig ist es jetzt, auf Leute in der Union einzuwirken, weil es natürlich innerhalb der Union eine enorme Spaltung gibt – zwischen denen, die den Merz-Kurs mittragen, und den Christdemokraten. Deren Arbeitskreis ist deutlich geschrumpft in den letzten Jahren, aber diese zu aktivieren und notfalls zum öffentlichkeitswirksamen Austritt zu bewegen, das ist ein wichtiger Baustein.

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