Berliner Kultur von Kürzungen bedroht: Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?

Freitag, Kunstpalast Wedding

Im letzten Haus vor dem Friedhof ist der offiziell als Kunstgalerie geführte Kunstpalast Wedding im Erdgeschoss untergebracht. Hier steht der Rauch in der Luft, und für einen Freitagabend ist es auffällig gut beleuchtet; man will die Kunst ja auch sehen, die großflächig die Wände bedeckt. „Bring your own art“ lautet das Motto, immer an einem Abend im Monat.

So was kann leicht schiefgehen, peinlich werden oder auch bloß banal – geht es im Kunstpalast aber eigentlich nie. Zeichnungen hängen hier, Gemälde, Fotos, auch mal ein Gedicht. Manchmal ist der Andrang so groß, dass die Wände nach der Hälfte des Abends freigemacht werden müssen, um Platz zu schaffen für die zweite Runde an Mach- und Kunstwerken.

Fan von Art Brut zu sein ist leicht, wenn man ihr im White Cube begegnet oder bereits ein Record Label den winzigen Teil Verwertbarkeit aus Outsider-Musiker:innen herausgekitzelt hat. Doch die Zahlenbilder eines George Widener, die kieksenden Stimmen von Gary Wilson oder Daniel Johnston, man kann sie sich eigentlich besser an Orten wie dem Kulturpalast vorstellen. Livemusik gibt es hier nämlich auch. Unvergessen bleibt die Darbietung zweier Musiker, die einmal kleine Steine auf einen Plattenspieler legten, und so live einen erstaunlich groovigen Breakbeat-Loop bastelten.

Es ist nicht so viel los rund um den Kulturpalast Wedding, in dieser eher ruhigen Ecke unweit der Grenze zum einstigen Ostberlin. Kunst und Kultur sind allzu oft vom guten Willen eines Hauseigentümers abhängig, sagt auch Henrik Jacob, erster Vorstand des Kulturpalasts. „Steigende Gewerbemieten oder einfache Kündigungen haben im Wedding schon einige interessante Kunstorte, Bars und Kieztreffpunkte zerstört.“

Auch ohne von den geplanten Kürzungen direkt betroffen zu sein – Bewerbungen für Projektraumförderung schlugen stets fehl –, ist die Situation im Palast prekär. „Bei uns hat sich die Gewerbemiete in den letzten Jahren verdoppelt“, sagt Jacob. Ob und wo es im nächsten Monat weitergeht, ob das Geld für die Miete reicht, war dabei immer unklar. Momentan ist der Fortbestand des Kulturpalasts gesichert, allerdings nur aufgrund von zahlenden Vereinsmitgliedern, die der Palast in einer Kampagne für sich gewinnen konnte. Julia Hubernagel

Samstag, Morphineraum

„Musik als Kunstform bringt Sprache zum Scheitern,“ hat der französisch-schweizerische Komponist Francois J. Bonnet einmal postuliert. Wer einem Konzert im Kreuzberger Morphineraum beiwohnt, bekommt eine Ahnung davon, wie erhebend Sprachlosigkeit sein kann. In dem in einem Hinterhaus an der Köpenicker Straße gelegenen Loft nehmen Freejazz- und Elektronik-Habitués aus aller Welt auf und spielen live. Hier wird dem Deep Listening gefrönt: Ertönt Musik, ist es still, die Anwesenden hören konzentriert zu und lassen das Gehörte auf sich wirken.

An diesem Samstag spielen die australische Gi­tar­ris­t:in Jules Reidy, David Grubbs aus New York und der Berliner Elektronikproduzent Jan St. Werner: Gitarren, Piano, Elektronik und Effekte werden bedient, bereits am Nachmittag hat das Trio aufgenommen. Am Mischpult sitzt Rabih Beaini, dem auch der Morphineraum gehört. Es ist Studio und Werkstatt des libanesischen Produzenten, der seit 2012 in Berlin lebt, neben seiner eigenen Musik ein Label betreibt und typisch Berlinerisch mit Mischkalkulation wirtschaftet. Ein Teil des benötigten Budgets kommt durch Förderung zustande, ein Teil durch Produktionstätigkeiten, und sehr viel durch Eigenengagement. Durch mehrmals wöchentlich stattfindende Loft-Konzerte entstehen neue Kontakte.

Im Rahmen des CTM-Festivals finden hier Workshops statt. Es treten oft Gäste auf, die bereits für Stipendien und Kunstförderprogramme in der Stadt weilen oder in größerem Rahmen Konzerte und DJ-Sets gespielt haben. Der Morphineraum profitiert von den großzügigen Förderstrukturen und gibt viel zurück: als Versuchsfeld, das Künst­le­r:In­nen Auftrittsmöglichkeiten gewährt und zudem wichtige Vernetzungsarbeit leistet. Das Publikum kommt in der Mehrheit aus dem Bereich der Musikwirtschaft und der bildenden Kunst.

Werden nun anderswo in Berlin Finanzmittel für Kultur gekürzt, schlägt sich das hier direkt nieder: Der künstlerische Austausch wird weniger werden, Konzerte fallen aus, das Studio wird womöglich nicht mehr gebucht – die Flurbereinigung einer wildwüchsigen Musiklandschaft. Die Kürzungsorgien haben Kultursenator Joe Chialo und Co mit blumigen Metaphern vermittelt. Francois J. Bonnet weiß es besser: „Sobald Sprache dirigierend in Musik eingreift, gibt es keine Musik mehr.“ Julian Weber

Sonntag, Künstlerhaus Bethanien

Es gibt Glühwein und Kuchen. Fünf Ausstellungen feiern Finissage und ein Dutzend Künst­le­r*in­nen laden in ihre Studios. Business as usual, trotz allem. Das Künstlerhaus Bethanien ist Atelierhaus für Künstler*innen, die über Residenzprogramme nach Berlin kommen, und Ausstellungshaus in einem, seit 50 Jahren. Ein Ort für Entdeckungen und für Gespräche.

Zum Beispiel mit Tracey Snelling. 2017 trat die Künstlerin aus den USA ihre Residency im Haus an. Mittlerweile hat sie sich selbst eingemietet. Das geht, ist aber eine Ausnahme. Snelling stellt Nachbauten ikonischer Gebäude her. Zu sehen sind diese aktuell im Haus am Lützowplatz. In ihrem Atelier lassen sich weitere aus der Nähe betrachten, auch vom Berliner KitKatClub, wo sie neulich eine Performance aufgeführt hat. Startrampe war das Künstlerhaus Bethanien schon oft: Sasha Waltz kam 1992 über eine Künstlerresidenz im Bethanien nach Berlin und blieb.

Das Haus wird vom Senat gefördert, mit einem Betrag jedoch, der noch nie alle Kosten gedeckt hat. Jetzt soll die Förderung um fast 150.000 Euro gekürzt werden. Frustriert sei sie, sagt Antje Weitzel, die erst vor anderthalb Monaten die Leitung des Hauses übernommen hat. In der jüngsten Streichliste, die in der Szene kursiert, wurden einige der Kürzungsvorhaben zurückgenommen. Für die großen Bühnen. Für Ausstellungshäuser. Für Orte mit viel Sichtbarkeit. Für das Künstlerhaus Bethanien nicht. „Residencies haben keine Lobby“, sagt Weitzel. Aber: „Was wollen sie denn ausstellen, wenn die Künst­le­r*in­nen nicht mehr da sind?“, fragt sie.

Noch sind sie da. Im zweiten Stock stehen Noy & Tamir aus Tel Aviv zwischen Keramikreliefs, in denen sie die Geschichte der ehemaligen Lichtfabrik und deren Gründern, des jüdischen Brüderpaars Leo und Felix Israel, mit ihrer eigenen verschmelzen lassen. Ein Stockwerk drüber entlockt Tini Aliman aus Singapur ihren aus Sperrmüll zusammengebastelten Instrumenten und aus Ton und Sand gebrannten Schallplatten Töne.

Ausstellungen sind wichtiger Bestandteil aller Residenzprogramme im Haus. Wenn es hart kommt, müsste sich das Künstlerhaus von den dafür vorgesehenen Räumen trennen. Das ist nicht einfach schade, sondern ein Problem. Ausstellungen sind mit den Partnern aus aller Welt vertraglich vereinbart. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen hat Weitzel die Partnerschaft mit Taiwan für zehn Jahre verlängert. Auch als politisches Statement. Ideen hat sie noch viele, aber jetzt geht es erst ums Überleben. Beate Scheder

Montag, Feld Theater

„Warum kann ich nicht entscheiden, wann Badeschluss ist? Das Bad ist doch da“, fragt Tobias Dutschke den imaginären Bademeister und latscht mit seinen Schwimmflossen Richtung Umkleidekabine. Über die hintere Bühnenwand flirren angenehm entschleunigt Wellen, die auch in der Projektion die Haptik geklebter Collagen behalten. Ein leises entspanntes Plätschern erfüllt das Feld Theater. In fünfzig kurzweiligen Minuten deklinieren Dutschke und seine Mitspielerinnen Pauline Jacob und Luisa Rebstock die Essentials eines Freibadbesuchs durch – vom Eincremen über vom Drei-Meter-Brett-Springen bis zum Pommes-Essen ist alles dabei. Sie berühren federleicht existenzielle Fragen, die sich um Angst, Entscheidungsfindung und die Frage drehen, warum mensch nicht selbst bestimmen kann, wann er Veränderung will.

Seit sechs Jahren existiert das kleine Theater, das sich dem inklusiven Kindertheater verschrieben hat, am Winterfeldtplatz. In der neuesten Eigenproduktion „Badeschluss“ gibt es drei zwei Meter hohe und fünfzig Zentimeter breite Boxen, in denen drei Türchen im Wechsel aufklappen und einem bestimmten Körperteil den Spot geben. Neben diesem schnellen und visuell extrem witzigen Slapstick ist die Bademodenschau das Ausstattungs-Highlight der Inszenierung. Aufgeblasene Badetiere jeglicher Couleur werden zu Kostüm-Bergen verknüpft, die sich die DarstellerInnen überstülpen und stolz dem Publikum präsentieren.

Das Feld Theater ist noch im Oktober mit dem Bundestheaterpreis für freie Produktionsstätten ausgezeichnet worden. Momentan wird es vom Senat mit 170.000 Euro gefördert. In „Badeschluss“ nimmt Pauline Jacob die kleinen Zettel von der Magnetschnur und liest vor, welche Wünsche das Publikum vor der Vorstellung an die eigene Zukunft formuliert hat. Die TheatermacherInnen haben nur einen Wunsch: keine Kürzung um 10 Prozent! Das wäre das Ende für dieses Theater. Die Stelle eines Technikers würde wegfallen, Vorstellungen könnten nicht mehr gespielt werden. Katja Kollmann

Dienstag, Literarisches Colloquium Berlin

Die Verlegerin Christiane Frohmann hält an diesem Dienstag im großen Saal des Literarischen Colloquiums Berlin einen Vortrag. Eingangs nutzt sie die Gelegenheit, um dafür zu werben, den digitalen Umgang mit Literatur – über Epubs, Streams und auch die Vorlesefunktion – als gleichberechtigt mit dem analogen Umgang zu werten.

Dann kommt sie zu ihrem Punkt. Man müsse sich die Unterschiede bei den Begriffen „deutsche Literatur“, „deutschsprachige Literatur“ und „Literatur in Deutschland“ klarmachen, sagt sie. Sie setzt auf „Literatur in Deutschland“ und fügt gleich hinzu, dass das ein internationales Phänomen sei, das keineswegs an der Herkunft der Au­to­r*in­nen und auch nicht an der Sprache hänge. In Zeiten, in denen die AfD Stimmenzuwächse einfährt, könne man aber nicht mehr voraussetzen, dass die Kultur selbstverständlich als Teil einer internationalen, globalisierten Welt gesehen werde. Die Kultur in Deutschland müsse aber die faktische Vielfalt der deutschen Bevölkerung repräsentieren.

Da macht sich Christiane Frohmann aktuell Sorgen. So werde der zeitweise Erfolg von BIPoC-Autor*innen in den Verlagsprogrammen nur als Trend gewertet, und derzeit gingen die Türen wieder zu, was Christiane Frohmann nur als vorauseilenden Gehorsam gegenüber der AfD werten kann. Wie vernetzt Literatur in Deutschland tatsächlich ist, kann man an diesem Abend auch praktisch sehen. Der Vortrag ist Teil der Abschlussveranstaltung einer 13-teiligen Reihe, in der die Moderatorin Maha El Hissy mit vielen Au­to­r*in­nen über poetologische und diskursive Fragen diskutiert hat.

Mitgetragen wurde die Reihe vom Goethe-Institut, das sich fragte, welche Literatur Aufmerksamkeit erhält und wie Kanonbildungen zustande kommen. Was wiederum Auswirkungen darauf hat, welche Bücher in andere Sprachen übersetzt werden.

Dieser Abend im LCB ist ein Beispiel dafür, wie Kürzungen von Programmmitteln, selbst wenn sie wie im Fall des LCB nur im fünfstelligen Bereich ausfallen sollten, schnell übers Lokale hinausgreifen würden. Ohne die Infrastruktur der Berliner Literaturszene wäre das Nachdenken über Literatur in Deutschland um einiges provinzieller. Und die deutsche Hauptstadt auch. Dirk Knipphals

Mittwoch, Philharmonie und After

Vielleicht ist Hans Scharouns Architektur für die Philharmonie ein gutes Sinnbild für die jetzt zu sanierende Berliner Kulturszene. Sein Äußeres expressionistisch zerfleddert, die goldgelbe Fassade schmuddelig. Sein Inneres schon verwegen, wenn die Treppen wie riesige Trichter von oben ins Foyer brechen und sich überall spitze Nischen auftun. In diese hatten sich an diesem Mittwochmittag, während des kostenlosen Lunchkonzerts, ein paar party­übernächtigte Teenager zurückgezogen, aber auch stillende Mütter und zögerliche Erstbesucher:innen. Nicht sicher, ob sowohl die architektonische als auch die soziale Konstruktion gleich einbricht, aber sie hält: Denn alles – und es sind Hunderte Menschen an diesem Tag – versammelt sich rund um etwas Schönes, geradezu Erhabenes.

Es spielt das Saxofonquartett Synthèse. Filigran tänzeln die vier Saxophone über Antonio Vivaldis Varationen in D-Moll, für George Bizets populäre „Carmen“ holen sie gleich ein ganzes Orchester aus den Schallrohren. Das Publikum: erstaunlich gemischt. Einige scheinen sich das Essensangebot unter 10 Euro nicht leisten zu können, andere bestellen sich routiniert ein Glas Crémant dazu. Derweil lassen die vier Sa­xo­fo­nis­t:in­nen von Bariton bis Sopran, wie aus einer Lunge, ihren exakt abgestimmten Ton Scharouns kaskadenhafte Foyerwände abwandern.

Dass bei einem perfekten Instrumentenspiel auch klangliche Überreste entstehen, sonische Abfallprodukte sozusagen, kann man am selben Mittwochabend in Ultrahigh-Definition in einem Kreuzberger Raum für Soundkunst namens After hören. Auch umsonst – für alle, die von dem Ort wissen. Gut dreißig Leute versammeln sich im Dunkeln um meterhohe Superlautsprecher, als seien sie ein Fetisch, und lauschen den schmerzhaft fein ausdefinierten Aufnahmen der Flötistin Susanne Fröhlich. Feuchte Lufthäuche, hochgezogene Spucke, klebende Tonklappen werden zu einem perkussiven Arrangement.

Das von einem Privatmann initiierte After und die Philharmonie, sie sind nicht mehr von den Kürzungen des Berliner Kulturetats betroffen. Aber an diesem Mittwoch zeigt sich an beiden Orten, was wohl für die ganze Berliner Kulturszene gilt: wie wenig gute Kunst mit einer polierten Hochkultur zu tun hat, die Kultursenator Joe Chialo bei seinem Sparvorhaben begünstigt: Perfektion und Trash, Ton und Spucke, das gehört zusammen. Schwierig, davon den unteren Teil wegzukürzen. Sophie Jung

Donnerstag, Mitte-Museum

Eine Backsteinvilla im Norden Berlins: Das Mitte Museum liegt etwas uncharmant zwischen Möbelcenter und Dönerbuden an einer vielbefahrenen Straße. Umso behaglicher das Innere: Gelbe Schilder und Kugellampen machen freundliches Licht, der nette Herr am Empfang erklärt das Prinzip des Hauses: Einen Überblick über die Heimatgeschichte des Riesenbezirks mit 381.000 Einwohnern geben, in dem 2001 die Stadtteile Mitte, Tiergarten und Wedding administrativ zusammen geführt wurden. Hübsch aufbereitet, erfährt man diverse fun facts: Wie viele Fischarten in der Panke leben (7, darunter das Moderlieschen), dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner 36 Quadratmeter beträgt – und im Jahr 1,2 Tonnen Hundekot anfallen.

Dazu kommen wechselnde Ausstellungen, aktuell zwei zum 35. Jahrestag des Mauerfalls: Im Untergeschoss hat die kalifornische Künstlerin Diane Meyer entlang der Mauer fotografiert und deren Spur mit Kreuzstichen in die Stadtansichten eingestickt: Wülste aus Garn machen den heute abwesenden Beton sichtbar, kleine Vierecke, die wie Pixel wirken, markieren ehemalige Orte des DDR-Überwachungsapparats im Stadtbild.

Der Herr vom Empfang dreht die Bilder um, damit die vernähten Stiche auf der Rückseite sichtbar werden und verweist auf die Fotoausstellung „Mauer Metamorphosen“ des Berliner Fotografen Gottfried Schenk im zweiten Obergeschoss. Auf dem Weg unbedingt in die Dauerausstellung rein schauen, empfiehlt er. Dort gibt es seltene Einblicke ins Elend der Moabiter Mietskasernen in den 1920ern oder die glanzvolle Vergangenheit der (heute ärmlichen) Badstraße, die in der Kaiserzeit eine Vergnügungsmeile war.

Das Mitte Museum wird vom Bezirks­amt finanziert, ist also von den Sparplänen betroffen. Ob es weniger Geld für Ausstellungen gibt, für die Bibliothek oder die Arbeit mit Schulklassen? Alles unklar – ziemlich sicher werde wohl aber beim Personal gespart werden. „Wir sind nervös und bangen um unsere Jobs“, sagt der nette Herr vom Besucherservice, der nicht zu den wenigen Festangestellten des Hauses gehört. Nina Apin

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