CSU-Klausur mit Kanzlerkandidat Merz: Das Wunder von Seeon

Kloster Seeon taz | Markus Söder ist noch einmal zurückgekommen. Eigentlich hatte er ja seinen Auftritt schon zum Auftakt der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe. Der CSU-Chef und Ministerpräsident ist schließlich kein Bundestagsabgeordneter und selbst nur Gast in Kloster Seeon. Nachdem er seiner Berliner Truppe zum Auftakt ihrer Klausur am Montagnachmittag für ein Gespräch zur Verfügung gestanden hatte, verließ er das Kloster zunächst wieder.

Doch zum Abschluss am Mittwoch steht der Parteichef wieder auf der Matte. Da nämlich trifft der Hauptgast der Tagung ein: CDU-Chef Friedrich Merz. Man kann Söders Rückkehr nun auf unterschiedliche Art und Weise deuten: als freundliche Geste gegenüber Merz, den persönlich in Bayern zu begrüßen er sich nicht nehmen lassen will; als den Wunsch, dem CDU-Chef nicht allein die Bühne zu überlassen; oder schlicht als Wahlkampfaktion, um sich einmal mehr mit dem Kanzlerkandidaten als Team zu präsentieren.

Es regnet, als Merz gegen 9.30 Uhr aus dem Auto steigt und auf Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zugeht, die dort schon seit einer Viertelstunde unter ihren Regenschirmen warten. Und in dem Moment, in dem Söder ihn ausspricht, ist schon klar, dass es einer der meistzitierten Sätze des Tages sein wird. Als der Gast aus dem Norden sich beschwert, wo denn der berühmte weiß-blaue Himmel abgeblieben sei, antwortet Söder nur: „Bisher war’s schön.“

Es wird die einzige öffentliche Spitze Söders gegen den CDU-Gast bleiben. Hinter den Kulissen wollen dagegen manche bei der CSU ein leises Grummeln vernehmen. Der Kanzlerkandidat sei aktuell noch zu wenig präsent, heißt es. Die Bild-Zeitung bemüht unter Berufung auf unzufriedene Parlamentarier gar das Bild des Schlafwagens. 2021 hatte Söder dem damaligen Kandidaten Armin Laschet vorgehalten, im Schlafwagen fahre man nicht ins Kanzleramt ein.

Kein großer Wurf

Als Merz, Söder und Dobrindt sich mittags vor die Kameras und Mikrofone stellen, ist von schlechter Stimmung allerdings nichts zu spüren. Mit stürmischen Beifall sei der CDU-Mann von den Abgeordneten empfangen worden, erzählt Dobrindt, man marschiere im Gleichschritt und werde die nächsten Wochen mit Leidenschaft für den Wahlsieg der Union kämpfen. Merz seinerseits ergänzt, man gehen nicht nur geschlossen, sondern auch mit großem Optimismus in den Wahlkampf, um einen „grundlegenden Politikwechsel“ zu erreichen.

„Grundlegend“, „grundsätzlich“, das waren schon am Montag die häufigsten Adjektive, als Dobrindt und Söder die Klausur eröffneten. Auf den geforderten Politikwechsel bezogen sie sich, auf das, was alles anders werden müsse. Nein, die nächste Bundesregierung dürfe „nicht irgendeine Groko neu“ werden, forderte Söder.

So überrascht es dann ein wenig, dass das, was die CSU nun vorschlägt, nicht wirklich als der große Wurf daherkommt. Grundlegend neu, möchte man meinen, sieht anders aus. Harte Kante in der Migrationspolitik zeigen, einige Ampelprojekte wie Heizungsgesetz und Cannabis-Legalisierung zurückdrehen und ein paar in ihrer Radikalität überschaubare Projekte wie die Mütterrente für Mütter von vor 1992 geborenen Kindern. Ach ja, und Heizungssanierungen sollen künftig von der Erbschaftssteuer abgesetzt werden können. Klingt alles ein bisschen nach einer Fortsetzung von Merkel ohne „Wir schaffen das“. Und ohne Merkel, versteht sich.

Wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind, hört man die Begründung: Für einen Politikwechsel seien die Wähler schon zu haben, solange man im Abstrakten bleibe, heißt es dazu sinngemäß in der CSU, zumal nach dem Verdruss mit der Ampel, aber zu viel konkrete Veränderung dürfe man ihnen dann doch nicht zumuten. Zitieren lassen will sich mit solchen Äußerungen jedoch niemand.

Ampel laut CSU schuld am Erfolg der AfD

Am Ende ist es dann doch das Migrationsthema, das den Wahlkampfauftakt der Union dominiert. Man habe sich das nicht ausgesucht, beteuern die Parteistrategen. Niemand habe einen Migrationswahlkampf führen wollen. Aber wenn das Thema in der Bevölkerung breit diskutiert werde wie jetzt nach dem Anschlag von Magdeburg und den Silvesterausschreitungen, dann dürfe sich die Politik nicht wegducken. Wer den Elefanten im Raum ignoriere, spiele nur den Rechtsextremen in die Hände, argumentiert Dobrindt. Genau das habe die Ampel getan. „Wenn man sich die aktuellen Umfragedaten anschaut, dann haben drei Jahre Ampel-Regierung dazu geführt, dass die AfD in Deutschland sich seit der Bundestagswahl mehr als verdoppelt hat.“ Dieser Zusammenhang sei eindeutig.

Das Nicht-Wegducken sieht dann so aus: Die Landesgruppe will das Bleiberecht für Flüchtlinge an ein „auskömmliches Einkommen“ koppeln. Straftäter aus Afghanistan und Syrien sollen konsequent in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Und wer etwa über den Kauf von Gutscheinen hilft, die Bargeldgrenze der Bezahlkarte für Flüchtlinge zu umgehen, soll künftig Strafe fürchten müssen. Mit dem Terrorismusexperten Peter R. Neumann diskutieren die Abgeordneten dann noch über eine Erhöhung der inneren Sicherheit. Bei seiner Ankunft in Kloster Seeon verweist der Professor des Londoner King’s College auch gleich darauf, dass viele Attentäter aus dem „Bereich Flucht und Asyl“ kämen.

Den Eindruck, sie werde bei dem Thema getrieben, macht allerdings auch die CDU nicht. Die Beendigung der illegalen und die Begrenzung der legalen Migration seien zentral, sagt Merz in Kloster Seeon. Wie auch Söder verweist er bei der legalen Migration auf eine aus Unionssicht überbordende und angeblich vornehmlich von NGOs gesteuerte Visavergabe durch die scheidende Regierung.

„Mitte-Rechts im Blick“

Merz hatte zudem dieser Tage gefordert, Straftätern und Gefährdern mit zwei Nationalitäten die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Ein Vorschlag, den Söder in Seeon ausdrücklich unterstützte. Und auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann war jüngst mit Vorstößen zum Thema aufgefallen. So forderte er, Flüchtlingen nach zwei Delikten den Aufenthaltsstatus zu entziehen – auch bei kleineren Delikten wie Schwarzfahren.

Das Thema Migration dürfte sich also kaum anbieten, um während des Wahlkampfes einen Keil zwischen die beiden Parteien und deren Vorsitzende zu treiben. Söder wird denn auch nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die CDU nicht mehr die von 2015 ist, auch nicht die von 2021. Unter Merz habe sich die Partei deutlich der CSU angeglichen, vor allem eben in der Migrationsfrage. In der Union stecke somit wieder deutlich mehr CSU. Von einer „neuen starken Union“, spricht Söder in Kloster Seeon, „die auf Mitte setzt, aber auch Mitte-Rechts im Blick hat“.

Harmonie pur also? Nun darf man den beiden Protagonisten durchaus glauben, dass das gute Verhältnis, das sie in der Öffentlichkeit zelebrieren, nicht vollends gespielt ist. Alles deutet darauf hin, dass sie seit Merz’ Wahl zum CDU-Chef trotz anfänglicher Skepsis tatsächlich zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gefunden haben – aus Parteiräson, aber auch aufgrund eines ähnlichen inhaltlichen Kompasses. Der Beginn einer wundersamen Freundschaft. Eine wichtige Rolle dürfte bei ihrer Anbahnung auch Dobrindt gespielt haben, den die Augsburger Allgemeine als „eine Art politischen Paartherapeuten“ bezeichnet und über den der Münchner Merkur schreibt: „Er versteht Söder. Er versteht Merz. Und beide trauen ihm.“

Dass der Wahlkampf denkbar kurz ausfällt, könnte sich nun als Vorteil für die Entente zwischen Söder und Merz erweisen, die nicht nur beide mit einer Extraportion Ego ausgestattet sind, sondern auch noch zu einer gewissen unberechenbaren Impulsivität neigen. Je kürzer der Weg, desto kleiner die Zahl der möglichen Fehltritte.

Merz: Kein Koalitionswahlkampf

Wie viel diese Männerzweckfreundschaft aber tatsächlich aushält, dürfte sich nach dem Wahlkampf zeigen. Eine erste Probe könnten die Koalitionsverhandlungen sein. Schließlich hat Söder mit seinem radikalen Anti-Grün-Kurs die Optionen der Union stark eingeschränkt. Der CSU-Chef hat sich damit ganz auf die SPD als Partner versteift. Da die tonangebenden Sozialdemokraten nach einer Wahlniederlage andere sein würden, insbesondere Olaf Scholz nicht mehr darunter sein werde, stellt sich Söder das Bündnis recht unproblematisch vor. Oder wie Dobrindt hoffnungsfroh mutmaßt: Die SPD-Fraktion werde halbiert, übrig bleibe dann die vernünftigere Hälfte.

Dass die frühe Festlegung allerdings den Preis in die Höhe treibt, den die Sozialdemokraten in möglichen Koalitionsverhandlungen verlangen können, dass es bei manchen Themen wie etwa der Ukraine-Politik mit ihnen durchaus auch schwieriger werden könnte als beispielsweise mit den Grünen – geschenkt. Doch Merz, der sich bekanntlich eine weniger kategorische Haltung in der Koalitionsfrage gewünscht hätte, der auch in Seeon noch einmal betonte, er führe keinen Koalitionswahlkampf, könnte sich während der Verhandlungen daran erinnern, wer ihm die Situation eingebrockt hat, und bemüht sein, den Einfluss seines „Nebenkanzlers“ (tz) einzudämmen.

Und wie harmonisch erst das Zusammenspiel in einer von Merz angeführten Bundesregierung werden dürfte, ist fraglich. Die CSU hat sich schließlich nie gescheut, auch gegen Bundesregierungen, denen sie selbst angehörte, aus Bayern heraus Opposition zu machen – ein bayerisches Paradoxon, das Tradition hat. Und Söder hat bereits klargestellt, wie er sich die künftige Machtverteilung in der Union vorstellt. Der Koalitionsausschuss wird danach das Gremium sein, in dem in Berlin die Politik gemacht wird. Alle zwei Wochen soll er tagen, und einen nach Vorstellung der CSU nur noch vage gehaltenen, „dynamischen“ Koalitionsvertrag von Zeit zu Zeit neu auslegen. In dem Gremium haben vor allem die Vorsitzenden der Koalitionsparteien das Sagen, also aller Voraussicht nach auch Söder. Heitere Aussichten für Friedrich Merz also – Regen hin oder her.

  • informationsspiegel

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