Die Wahrheit: Normschöne Dominanz disruptiv zerstört

Der Frühling ist die Zeit des Erwachens. Manipuliert von volkstümlich auftretenden Modemilliardären wie Hennes, Mauritz, Peek und Cloppenburg schubst das Volk die hochnäsigen Eliten vom Laufsteg. Pünktlich zum einkehrenden Lenz ist das nicht weniger als die Jahreszeitenwende: Disruption rules!

In die Modewelt drängt es nun Leute wie dich und mich, graue Mäuse, die nach nichts Besonderem aussehen, unterstützt von Influencern aus allen drei Ecken des Beauty-Spektrums. Die schönsten Trends zum Nachshoppen haben wir schon mal vorgeshoppt, dabei wurden keine Kosten gescheut außer für Fanta-Schampus.

Zum Ersten: Alles, was an unsere geliebte Kindheit erinnert, hat bei uns von vornherein einen Stein im Brett. Zu den beliebtesten Frühjahrsoutfits zählen jetzt Wickeljäckchen, Strampler oder Windeln, alle in peinlichen Retromustern – es kann nicht tief genug in die persönliche Vergangenheit gehen. Wer im Babyschlafsack aufkreuzt, wenn um festliche Garderobe gebeten wird, hat den (schrägen) Vogel abgeschossen und kriegt eventuell eine Rassel oder einen Schnulli!

Zu dieser Gewandung trägt man Accessoires in Gestalt und nach dem Rezept von Retro-Süßigkeiten. Sie nähren die Sehnsucht nach der guten alten Zeit und verzaubern auch jenseits der Spielplätze alle Generationen, zum Beispiel mit prickelndem Knisterpulver, Gummibärchen oder Nappos. Rührend auch, wenn man das Naschwerk im Club um den Hals, an den Handgelenken und Knöcheln präsentieren und sofort verzehren kann. Vor allem: süüüüß!

&#xE80F

Disruption rules: Für so richtig ungesunde und unangenehme Nächte sorgt bei immer mehr und mehr Fashionistas der Stein im Bett

Apropos Stein im Brett: Für richtig ungesunde und unangenehme Nächte sorgt bei immer mehr Fashionistas der Stein im Bett! Dieser Weg durch die nächtliche Dunkelheit ist für die meisten Fahionistas ein steiniger. Er tut weh, strapaziert den Rücken und plagt, bis der Notarzt kommt. Kassenpatienten müssen leider selber zahlen. Von Kiesel- bis Wacker- und Nierenstein: Ächzen und Stöhnen bis zum Morgengrauen ist jedenfalls Pflicht und zudem der letzte Schrei – vor Schmerz.

Angesichts der vielfältigen Bedrohungen unserer liberalen Gesellschaft sind Privatsphäre und Freiräume begehrter denn je. Hochgewichtige Personen wollen sich aber nicht länger zu Hause verstecken! Zur nötigen Luft um den Körper verhelfen Maler-Overalls in XXL, Jogginganzüge aus Ballonseide und voluminöse Ponchos in großzügigen Schnitten. Belegt man diese zum zweiten Frühstück mit ein paar Scheiben Prosciutto crudo, Emmentaler und Gewürzgürkchen, ist auch für das leibliche Wohl gesorgt – Bodyshaming ade, nun aber endgültig!

Viele Couturiers ziehen ihre Inspiration diese Saison allerdings aus der stürmischen Seefahrt. Über den Catwalk paddeln Models in Matrosenleibchen, Wathosen und Südwestern: Aus der Ferne tönt ein Lied, das nach Sehnsucht und Salzwasser schmeckt. Dazu wird eine Buddel voll Rum gereicht, Piraten erobern die Welt im Wirbelsturm und plündern uns bis auf die Knochen aus. Statt Sonnenbrillen trägt man deshalb zwei Augenklappen, statt Budapestern Holzbeine. Alles in allem ein Look, der hängen bleibt – dank Enterhaken!

Die Jugend in ihrem Leichtsinn gibt sich weiterhin unberechenbar und ironisch wie eh und je. Sie erkundet sorgsam die Grenzen der Eighties, um sie genüßlich auszudehnen. Händeringend kämpft sie mit Farben, die bei allen bisherigen Revivals mit Bedacht ausgelassen wurden: Rosé- und Bleutöne beherrschen die Jugendtreffs, ergänzt um Kopftücher und Broschen in Chinakohlgrün, Blassgelb und Zartviolett.

La-lü-la-lü! La-lü-la-lü!

Auch auf der anderen Seite ändert sich der Frontverlauf: Die Ü50-Modeopfer treten immer greller und grotesker auf, greifen auch bei Karohemden und Blousons ausschließlich zu Neon- und Signalfarben, damit man ihnen beherzt aus dem Weg gehen kann. Mutige setzen sich ein Blaulicht auf den Kopf und betätigen ihr Martinshorn. Auf geht’s: La-lü-la-lü! La-lü-la-lü!

Verkehrte Welt also, wo man auch hinschaut: Verkehrte Modewelt nämlich. Business-Mode wird deshalb in dieser Saison neu definiert, und zwar als Freizeitmode. In den Einkaufszonen lungern die Talahons in ihrem steifen Dreiteilern herum, wedeln mit ihren Aktentaschen und fühlen sich steif und unbehaglich. Umgekehrt geht’s natürlich auch: Jetzt wird in Shorts, Bikini und Badeschlappen in die Vorstandsetage spaziert. Jeder Tag ist Casual Friday, auch in Banken und Versicherungen. Alle Verbindlichkeit schwindet dahin. Schön ist anders – aber anders ist schön!

Der Befreiungsschlag gegen linksextreme Verkopftheit und abgehobene Utopien: Modeskizzen und Schnittmuster werden gesetzlich verboten, Änderungsschneidereien vorläufig geschlossen. Ab jetzt wird aus dem Bauch heraus genäht. Grundsätzlich gilt jedoch: Grün hat auf lange Sicht gesiegt. Die Kollektionen werden sanfter, ökologischer, denken auch mal an morgen. Dazu werden Putzlumpen aus dem Küchenschrank geholt und in den begehbaren Wandschrank zurückgehängt. Nachhaltigkeit fetzt! Klamotten aus Tissue, Küchen- und Toilettenpapier wandern daher nach dem Tragen nicht in die Waschmaschine, sondern gleich ins Klo.

Hippietrend à la Woodstock

Überhaupt: In Vorbereitung auf den Sommer greift ein Hippietrend à la Woodstock. Die Klamotten kommen komplett runter, nicht nur in den Ostseebädern: Die High Society wirft sich ins Adam-und-Eva-Kostüm, der Kaiser ist nackt. Im Herbst heißt es deshalb: warm anziehen! Lassen wir uns überraschen, was danach überhaupt noch kommen kann – vielleicht Unsichtbarkeitsumhänge und Tarnkappen? Statement Piece des Jahres sind indes Wendejacken, in den USA selbstverständlich Zwangsjacken.

Doch bei aller Disruption, eines kommt nie aus der Mode: gesundes und gepflegtes Haar! Immer attraktiver werden über das Restjahr hinweg Frisuren in den verschiedenen Schattierungen von Grau – zwischen Mehlgrau und Light Anthracite liegen unendlich viele Nuancen. Dafür bürgen allein schon Demoskopie und natürliche Verfallsprozesse. Bei besonders Wagemutigen wird freilich noch ein Gang zugelegt. Die einen reißen sich ihre Haare einzeln aus und lassen sie von anderen tragen, die anderen zurren ihre Haare mit aller Gewalt zu Zöpfen und Pferdeschwänzen – spannend. Vor allem für die Kopfhaut!

  • informationsspiegel

    Related Posts

    Erwiderung auf FAZ-Autor Egon Flaig: Auch im Krieg braucht es Lebensfreude
    • March 16, 2025

    In der FAZ wird von den Ukrai­ne­r*in­nen mehr Opferbereitschaft gefordert. Dabei reagieren sie genau richtig auf die Situation. Eindrücke aus Kyjiw. mehr…

    Weiterlesen
    Sonntags in Schweden: Herr Olsson will mit Menschen reden
    • March 16, 2025

    Unsere Autorin wohnt auf dem Land, in der schwedischen Kommune Härnösand. Im Dorfladen sorgte eine Innovation kürzlich für Überraschung. mehr…

    Weiterlesen

    Nicht verpassen

    Erwiderung auf FAZ-Autor Egon Flaig: Auch im Krieg braucht es Lebensfreude

    • 3 views
    Erwiderung auf FAZ-Autor Egon Flaig: Auch im Krieg braucht es Lebensfreude

    Sonntags in Schweden: Herr Olsson will mit Menschen reden

    • 3 views
    Sonntags in Schweden: Herr Olsson will mit Menschen reden

    Die deutsche Kartoffel: Von der Hexenpflanze zur woken Selbstironie

    • 2 views
    Die deutsche Kartoffel: Von der Hexenpflanze zur woken Selbstironie

    Proteste gegen Regierung: Ungarns Premier Orbán droht Opposition mit „Vernichtung“​

    • 3 views
    Proteste gegen Regierung: Ungarns Premier Orbán droht Opposition mit „Vernichtung“​