Feministisches Ausstellungsprojekt: Die Hydra unserer Zeit

Lillian Morrisseys Arbeit „Hydra“, eine Kombination aus Malerei und Stickerei, zeigt das antike Monster als zeitgenössische Karikatur. Die vielen Köpfe tragen die Züge einer rechtsextremen Medienlandschaft: Steve Bannon, Tucker Carlson, Maximilian Krah. In den Klauen hält sie Smartphone und Pistole. Es sind die Symbole einer Gegenwart, in der sich reaktionäre Kräfte vervielfältigen und feministische Errungenschaften unter Beschuss geraten. „Hydra“ ist eine von zahlreichen künstlerischen Arbeiten des feministisch-intersektionalen Ausstellungsprojekts „The desire for being many“.

Es geht zurück auf die Initiative der Künstlerin, „die sich seit Längerem mit neofaschistischen Rollbacks und Entwicklungen auseinandersetzt“, erzählt die Kuratorin Katharina Koch. Morrissey suchte gezielt die Zusammenarbeit mit den Berliner Ausstellungsorten „Neun Kelche“ sowie „alpha nova & galerie futura“. Später kam der Projektraum „Solaris“ hinzu. So nahm die Idee eines kollaborativen Projekts Form an: 18 Künstler*innen, drei Ausstellungsorte mit jeweils einmonatiger Laufzeit.

Vor dem Hintergrund des konstatierten patriarchalen Backlashes formulierte das fünfköpfige Kuratorinnenteam seine Leitfrage: Welche Gegenstrategien lassen sich mit und durch künstlerische Produktion entwickeln? Der Titel der Ausstellung liefert eine Antwort in nuce. „The desire for being many“ ist ein Zitat von Sibylle Peters, aufgegriffen in Ewa Majewskas Werk „Feminist Anti-Fascism: Counterpublics of the Common“. Feministischer Antifaschismus erscheint hier nicht als heroischer Einzelkämpfer wie Herakles, der das antike Geschöpf am Ende bezwingt, sondern als plurales Begehren.

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Zentral ist die Idee der counterpublics, der sich formierenden Gegenöffentlichkeiten

„Das war für uns ein Aufhänger dafür, was Gegenstrategien sein könnten“, erinnert sich Koch. Widerstand müsse nicht immer als große Geste auftreten, „sondern auch in kleinen Akten Communitys und Öffentlichkeiten für diese Themen schaffen“. Zentral ist dabei die Idee der „counterpublics“, der sich formierenden Gegenöffentlichkeiten. Räume, in denen marginalisierte Gruppen, insbesondere FLINTAS* und queere Personen, die Möglichkeit zum Austausch erhalten und Handlungsmacht erfahren.

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Die Ausstellungen

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Genau hier setzt das Projekt an. Die beteiligten Künstler*innen, viele mit transnationalen Erfahrungshintergründen und überwiegend in Berlin tätig, bringen ein vielstimmiges Geflecht an Perspektiven zusammen. Videoarbeiten, Malerei, Performance und Installation machen so auch die Überschneidungen von Ausgrenzungserfahrungen sichtbar.

Vielstimmig gegen reaktionäre Kräfte

Wichtig sei dem kuratorischen Team gewesen, nicht bei der Analyse des Ist-Zustands stehenzubleiben, betont Katharina Koch. Die Arbeiten reagieren auf „neofaschistische, antifeministische Backlashes, öffnen aber zugleich Räume für andere Zukunftsentwürfe“.

So steht eine monumentale Vulva aus Stacheldraht im Projektraum „Neun Kelche“ in Berlin-Weissensee. Das Material evoziert Grenzregime und restriktive Politiken, wird jedoch von der Künstlerin angeeignet und in ein Statement gegen patriarchale Gewalt transformiert. Keramische Lautsprecher in Mundform betrachten die Abwertung des Wortes „gossip“ und rehabilitieren den Klatsch als subversive Praxis. Daneben hängt ein expressives Gemälde eines männlichen Redners, dem eine Menge erstaunter Katzen mit weit geöffneten Mäulern lauscht: Eine ironische Allegorie auf rechtspopulistische Rhetorik und ihre willige Zuhörerschaft.

Videoinstallationen zeigen eine queere Freund*innengruppe, die vom ländlichen Russland nach Brandenburg geflohen ist, weitere Werke palästinensische Mütter in Berlin. In Rollenspielen werden feministische Zukunftsvisionen erprobt, andere Arbeiten erinnern an die Sit-ins von 1977 als Beispiel erfolgreichen kollektiven Handelns. In zusätzlichen Veranstaltungen trifft Stand-up-Comedy auf Tanzperformance.

Von der Kritik zur Aktion

Besonders deutlich verschränken sich Kunst und Aktivismus in der Arbeit „Exercising Collective Disobedience“ von Alexandra Ivanciu und Jolanta Nowaczyk. An allen Ausstellungsorten stehen mit Pillenpackungen gefüllte, transparente Boxen. Be­su­che­r*in­nen können die in Deutschland rezeptfrei erhältliche „Pille danach“ spenden. Sie werden an jene Personen weitergegeben, deren sexuelle Selbstbestimmung in Ländern wie Polen derzeit stark eingeschränkt ist.

„The desire for being many“ versteht sich bewusst als offenes Projekt. „Es ist gut besucht. Alle bestätigen uns darin, wie wichtig es ist, ein Zeichen zu setzen“, berichtet Koch. Zugleich stellt sich die Frage nach dem Danach. Wie lassen sich solche Allianzen verstetigen, wie weitertragen? Die Antwort bleibt auch aus strukturellen Gründen vorläufig.

„Projektgelder zu bekommen und die Situation der nicht-kommerziellen Galerien und Kunsträume in Berlin ist generell schwierig“, sagt Koch. Dennoch überwiege der Wille, dranzubleiben, ob als Ausstellung oder Veranstaltungsreihe – und der vielköpfigen reaktionären Hydra künstlerische Vielstimmigkeit entgegenzusetzen.

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