
Sie sind schwer auszuhalten, diese 92 Minuten des Lebens von Aykut Anhan alias Haftbefehl, verstörend und faszinierend zugleich. Nicht das Portrait einer Legende, so will er sich selbst nicht beschrieben wissen, denn Legenden sind tot. Haftbefehl lebt noch. Aber wie kurz vor dem Tod er stand und wie nah er ihm vielleicht auch heute noch ist, zeigt sein neuer Dokumentarfilm auf Netflix.
Über zwei Jahre begleiteten der Journalist Juan Moreno und der Werbefilmregisseur Sinan Sevinç den Rapper Haftbefehl. Auf Konzerte, ins Studio, Backstage, in Hotelsuiten und in sein Einfamilienhaus in Stuttgart. Sie sprachen mit ihm immer und immer wieder. Die Abmachung vor dem Dreh war: kein Thema ist tabu, alles kann gefragt werden, Haftbefehl antwortet. Und alles kann gezeigt werden. Soll es sogar.
Man erfährt nur kurz von seinem Aufstieg: vom Drogen dealenden Jungen aus Offenbach, der mit 14 die Schule abbrach und zum Rapstar wurde. Andere Musiker, darunter der Rapper Xatar, beschreiben ihn als unantastbar. Als Nummer eins, als den besten Rapper, den es je gab, mit Abstand.
=”” span=””>
Dokumentarfilm, ab sofort auf Netflix
=”” div=””>
Kompromisslos und extrem, nennt ihn sein Produzent Bazzazian. Er spreche das aus, was die meisten erlebt haben, durchleben oder er gebe ihnen zumindest das Gefühl, gehört zu werden, so sein anderer Produzent Frizzo.
Der Kampf mit dem Kokain
Das ist Haftbefehl, der Rapper, der Rockstar. Die Doku zeigt so etwas wie den Kampf zwischen ihm und dem Menschen dahinter, Aykut Anhan, dem Sohn, dem Bruder, dem Familienvater. Er erzählt von seiner Kindheit, von seinem Vater, einem geheimnisvollen Casinobesitzer und Zocker, der zwar nur Anzüge von Versace und Armani trug, aber mit seiner Familie im siebten Stock einer Hochhaussiedlung lebte. Ein autoritärer Mann, der zweimal versuchte, sich das Leben zu nehmen. Das erste Mal fand ihn der junge Aykut, rettete ihn und wurde dafür von seinem Vater geohrfeigt und ausgelacht. Das erzählt er genau. Das zweite Mal war niemand da, um den Vater aufzuhalten.
Der erwachsene Aykut Anhan kämpft noch heute damit. Und mit dem Kokain, das er mit 13 Jahren anfing zu nehmen. Wer die Doku schaut, kann ihm aus nächster Nähe dabei zusehen. 2022 sackt er das erste Mal bei einem Konzert in sich zusammen, sagt seine Tour aus gesundheitlichen Gründen ab. Ein Jahr später tritt er wieder auf, völlig verschwitzt, sieht fertig aus. Eine Woche danach versucht er, sich durch eine Überdosis das Leben zu nehmen. Er landet im Krankenhaus und bekommt einen Wutanfall als er merkt, dass er überlebt hat. Davon erzählt sein Fahrer und davon erzählt er selbst.
Anhan nennt sich selbst Dreck. Röchelt, atmet nur schwer durch die wohl vom Konsum beschädigte Nase. Man sieht ihn Backstage völlig am Ende. Im Hotelzimmer beschimpft er jemanden als Hurensohn, dabei ist er mit der laufenden Kamera alleine. Seine Frau Nina weint. Erzählt, Haftbefehl habe schon einiges kaputt gemacht, dass sie sich manchmal ihr normales Leben mit Aykut zurückwünsche. Man sieht Filmmaterial von ihm als Kind, mit seinen Brüdern, mit seinem Vater, Szenen, in denen er liebevoll mit seiner Frau und mit seinen Kindern umgeht. Babo, der Titel der Doku, bedeutet Vater auf kurdisch.
Schließlich bringt ihn sein Bruder in eine geschlossene Klinik in Istanbul. Ohne das hätte er nicht überlebt, sagt Anhan. Es ist schwierig, diese Doku anzuschauen. Weil sie Aykut Anhan, weil sie Haftbefehl, diesem zerrissenen Menschen, so nahe kommt.







