Kieler Niederlage gegen St. Pauli: Heimat oder Weiterbildungsträger

Kiel taz | Der Traum von der Fußball-Bundesliga stirbt in Kiel einen langsamen Tod. Im Saisonverlauf, wo Holstein erst viermal gewonnen hat, aber den Abstieg theoretisch immer noch abwenden könnte. Und auch im Heimspiel gegen den FC St. Pauli. Das hatten die Kieler 92 Minuten lang offen gehalten. Und dann ein Eigentor. Schluss. Wieder Letzter.

„Ein brutaler Schlag“ sei das gewesen, ein „Kacktor des Monats“, meinte Torhüter Thomas Dähne hinterher. Und es klang nicht mehr wirklich überzeugt, als er sagte, was sie in den verbleibenden fünf Spielen alles besser machen müssten. In Leipzig. In Dortmund. Oder gegen Mönchengladbach und Freiburg. Alles noch Teams mit Ambitionen aufs internationale Geschäft.

Sich selbst wollte Dähne „nicht rausnehmen“, hatte er doch St. Pauli erst wieder ins Spiel gebracht, als ihm eine Flanke durch die Hände geflutscht war. Dabei sollte Dähne Teil des Rettungsplans von Trainer Marcel Rapp werden, war erst in der Vorwoche wegen seiner Erfahrung ins Team gerutscht.

Man kann Rapp wirklich nicht absprechen, alles versucht zu haben. Neulich hat er gegen Werder Bremen sogar mal nach einer guten halben Stunde drei Mann auf einmal ausgewechselt. Aber es nützt alles nichts. Diese Kieler Mannschaft ist in der Bundesliga nicht konkurrenzfähig.

Schon sieben Punkte Rückstand

Der sonst stets positiv gestimmte Rapp klang einen kurzen Moment ratlos nach der Niederlage, die den Rückstand auf St. Pauli auf dem sicheren 15. Platz auf sieben Punkte anwachsen lässt. War’s das? „Das liegt an jedem selber, ob wir jetzt sagen: Das war ein Tiefschlag – oder ob wir weiter machen“, sagte Rapp. „Ich will weitermachen, aber letztlich liegt es an den Jungs.“

Dass Rapp weitermachen kann und soll, egal in welcher Liga, das ist klarer denn je. In der vergangenen Woche hat der Verein bekannt gegeben, dass er den Vertrag mit Rapp bis 2028 verlängert – und das als Tabellenletzter, wo andere Vereine in hektischen Aktionismus verfallen. „Marcel Rapp arbeitet seit jetzt dreieinhalb Jahren sehr erfolgreich bei Holstein Kiel“, begründete Sportgeschäftsführer Carsten Wehlmann das. „Er hat eine klare Idee von Fußball, ist extrem akribisch und identifiziert sich voll und ganz mit dem Weg, den wir hier seit vielen Jahren leben.“

Dieser Weg, das ist das langfristige Projekt, in Kiel Profifußball zu etablieren. Rapp war vorher Jugendtrainer in Hoffenheim, bekam in Kiel seine erste Chance als Chefcoach. Und innerhalb von nicht einmal drei Saisons hatte er Holstein zum erstmaligen Bundesliga-Aufstieg gebracht. Für den Verein kam das so überraschend wie vorzeitig.

Die Kieler sind sich dennoch treu geblieben, haben der Versuchung widerstanden, Spieler mit großen Namen zu holen. Stattdessen haben sie versucht, mit dem mit Abstand kleinsten Etat in der Liga mitzuhalten. Dass das nun wohl nicht geklappt hat, lastet folgerichtig auch niemand dem Trainer an.

Auch das charmante, aber marode Holstein-Stadion ist nicht bundesligatauglich. Schon in der zweiten Liga durfte es nur mit einer Sondergenehmigung genutzt werden. In der ersten dürfen wegen strengerer Sicherheitsauflagen nur noch 15.000 Fans rein. Die Ausschreibung für einen Neubau läuft noch bis Ende April, Baubeginn soll Endes des Jahres sein.

Jedes Jahr gehen die Besten

Rapp wird wohl nun in der zweiten Liga wieder das machen, was er am besten kann: Talente fördern, Profis besser machen. Woran sie in Kiel künftig arbeiten müssen, ist, dass die Spieler Holstein nicht nur als Weiterbildungsträger sehen, sondern auch eine Weile bleiben wollen. Zu sehr hat man sich daran gewöhnt, Jahr für Jahr die Besten ziehen zu lassen.

Diesmal hat Routinier Lewis Holtby schon vor Wochen seinen Abschied verkündet. Vor einer Woche gab Timo Becker bekannt, dass er zu seinem „Herzensverein“ Schalke 04 zurückkehren wird. Ironischerweise hängen beide draußen am Holsteinstadion auf einem Riesen-Werbeplakat der schleswig-holsteinischen Lottogesellschaft – unter dem Slogan „Mein GlücKSVerein“.

Zum Glück ist da nicht auch noch Marko Ivezić dabei. Dessen Berater hatte zwei Tage vor dem Spiel in russischen Medien lanciert, Holstein würde „zu 90 Prozent“ absteigen – und sein Klient sei „zu gut für die zweite Liga“. All das kann einem Team im Abstiegskampf nicht dienlich sein.

  • informationsspiegel

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