Krieg in Nahost: Israels Dilemma nach Assads Sturz

Jerusalem taz | Israel steht nach dem Fall des syrischen Diktators Baschar al-Assad vor einem Dilemma: Das Machtvakuum im Nachbarland gibt der israelischen Armee die Chance, ohne Widerstand militärisches Gerät unbrauchbar zu machen, das künftig gegen Israel eingesetzt werden könnte. Andererseits aber bietet eine neue Regierung in Damaskus vielleicht erstmals eine echte Chance auf Frieden zwischen beiden Ländern.

Anhaltspunkte dafür gibt es: Die Anführer der syrischen Rebellen Hayat Tahrir al-Sham (HTS) rufen bisher – anders als die Hisbollah, die Hamas oder Iran – nicht zum Kampf gegen Israel oder zur Unterstützung der Palästinenser auf. Mehrere ihrer Kämpfer haben israelischen Medien gar Interviews gegeben. Und schließlich wissen auch die Rebellen, dass Israels verheerende Schläge gegen die Hisbollah-Miliz – neben der schwindenden Unterstützung aus Russland – den Sturz des Assad-Regimes erst möglich gemacht haben.

Der Anführer der Rebellen, Ahmed al-Scharaa, sprach am Samstag in einem Interview mit einem syrischen Fernsehsender von „diplomatischen Lösungen“ als einzigem Weg, Sicherheit und Stabilität in der Region zu garantieren. Er warnte in seiner ersten Botschaft an Israel jedoch auch, es gebe „keine weiteren Entschuldigungen“ für Luftangriffe auf syrischem Gebiet.

Mit rund 500 Luftschlägen über das Land verteilt hat die israelische Armee seit dem Sturz Assads laut eigenen Angaben mindestens 80 Prozent der Bestände der untergegangenen syrischen Armee zerstört. Sie sollen Standorte für Chemiewaffen, Luftabwehr, Flugzeuge und die gesamte Kriegsmarine getroffen haben. Am Montag erschütterten gewaltige Explosionen die Küstenregion Tartus.

Die Anführer der syrischen Rebellen rufen bisher – anders als die Hisbollah, die Hamas oder Iran – nicht zum Kampf gegen Israel oder zur Unterstützung der Palästinenser auf

International zurückhaltende Kritik an Israel

In Syrien und international sorgt außerdem das Eindringen israelischer Soldaten auf syrisches Territorium für Kritik. Nur Stunden nach der Einnahme von Damaskus durch HTS rückten israelische Soldaten über die 50 Jahre zuvor vereinbarte Waffenstillstandslinie in die demilitarisierte Pufferzone vor. Diese trennt die 1967 von Israel besetzten Golanhöhen von Syrien. Unter anderem erreichten sie den strategisch bedeutenden Gipfel des Hermon, des höchsten Berges in der Region.

Israel rechtfertigt sein Vorgehen mit Verweis auf seine Sicherheit: Nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober will man keine Bedrohung an den Grenzen mehr in Kauf nehmen. „Wir handeln, damit terroristische Extremisten sich nicht direkt an unserer Grenze etablieren“, sagte Armeechef Herzi Halevi am Samstag. Darüber hinaus mische sich Israel nicht in Syrien ein.

International fällt die Kritik an Israels Vorgehen bisher zurückhaltend aus, obwohl sowohl die Bombardierungen als auch die Besetzung der Pufferzone völkerrechtlich nach Meinung der meisten Experten jeglicher Legitimität entbehren.

Doch der Preis für die kurzfristige Sicherheit steigt mit jedem neuen Luftangriff. Egal, welche Richtung eine neue syrische Führung einschlagen wird: Sie wird nicht vergessen, wer dafür gesorgt hat, dass sie für den Neuaufbau ihrer Armee kaum mehr als Kalaschnikows zur Verfügung hat. Damit sinkt die Chance auf eine diplomatische Lösung, für die der Machtwechsel in Damaskus eigentlich ein Türöffner sein könnte.

Eine Rückgabe des Golan lehnt Israel kategorisch ab

Damaskus hat Israel nie als Staat anerkannt. Friedensverhandlungen mit dem Assad-Regime haben nie ihr Ziel erreicht. Dieses bestand stets auf einer vollständigen Rückgabe des Golan, was Israel kategorisch ablehnte. Von der von Israel völkerrechtswidrig annektierten Hügelkette sind der See Genezareth, Israels größtes Süßwasserreservoir, und die umliegenden Städte ein leichtes Ziel.

Stattdessen kündigte Benjamin Netanjahu am Sonntag an, Israel wolle seine Bevölkerung auf dem Golan verdoppeln. Derzeit leben dort etwa 50.000 Menschen, etwa die Hälfte von ihnen sind jüdische Israelis, die anderen mehrheitlich Drusen. Unterstützung dafür darf er sich vom künftigen US-Präsident Donald Trump erwarten, der den Golan 2019 als israelisch anerkannt hat.

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