Missbrauch und Mobbing an Waldorfschulen: Waldorfschulen müssen ihre Kinder besser schützen

I hr Image von Geborgenheit und Nostalgie macht Waldorfschulen attraktiv. Während die deutsche Bildungspolitik seit Jahren sichtbar versagt, wächst die Sehnsucht von Eltern nach einer herzerwärmenden Bildungs­utopie. Bei all der liebevollen Waldorfgestaltung wirkt Gewalt unvorstellbar, obwohl sie seit über 100 Jahren dokumentiert ist und auch immer wieder in der Presse über Vorfälle berichtet wurde.

2015 hat der Bund der Freien Waldorfschulen endlich eine Beschwerdestelle geschaffen, und seit 2022 müssen alle Waldorfschulen ein eigenes Schutzkonzept erarbeiten. Nur, wie wirksam können solche Maßnahmen sein, wenn selbst im frisch erschienenen Leitfaden zu Mobbing waldorfspezifische Pro­ble­me gar nicht erst benannt werden? Beispielsweise bleibt eine Waldorfklasse konzeptionell zwölf Jahre lang beisammen und hat die ersten acht Jahre dieselbe Klassenlehrkraft.

Wenn dort eine Dynamik entsteht, unter der einzelne Kinder leiden, gibt es keine strukturellen Brüche wie Lehrerwechsel, weiterführende Schulen oder ein Kurssystem. Mein Eindruck ist, dass sich eine „Schicksalsgemeinschaft“, die über so viele Jahre so eng zusammen geschmiedet werden soll, Sündenböcke sucht, um Spannung abzubauen. Konsequenzen blieben, meiner Beobachtung nach, insbesondere dann aus, wenn es um bei den Tätern um Kinder von reichen, sehr anthroposophischen oder Lehrerfamilien handelt.

Heute scheinen Waldorfschulen mit dem „No-Blame-Aporoach“ zu arbeiten, bei dem ich befürchte, dass er eingebettet in die Waldorfpädagogik mit ihrem Karmadenken, betroffene Kinder zu wenig schützt. Zudem ist der Druck auf die Kinder, alles auszuhalten, besonders groß, denn ein Schulwechsel bedeutet oft, auf die „böse Staatsschule“ zu wechseln und eine Klasse zu wiederholen.

Der Ikea-Effekt wirkt bei den Eltern

Und auf Waldorfeltern wirkt der Ikea-Effekt: Wer etwas mit eigenem Einsatz aufbaut, misst ihm einen höheren Wert bei. Sie sind dankbar für den Schulplatz, investieren Zeit und Geld – die Distanz schmilzt: Man wird stolzer Teil der Schule. Kinder wiederum wollen ihre Eltern ungern enttäuschen – und sagen oft lange nichts. Wenden sich Waldorfeltern dann doch an die Klassenlehrkraft aka „geliebte Autorität“, wird laut Leitfaden zunächst Vertrauen eingefordert. Gelingt das nicht, kann die Waldorfschule den Schulvertrag einseitig kündigen.

Das Kind muss die Schule oft kurzfristig verlassen. Klare Hierarchien, die in Konfliktsituationen greifen, gibt es an den selbstverwalteten Waldorfschulen nur selten. Und der Bund der Freien Waldorfschulen ist gegenüber seinen Mitgliedsschulen ebenso wenig weisungsbefugt wie die staatliche Schulaufsicht. Mehrere Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs halten es „für wichtig, das Nähe-Distanz-Verhältnis an Schulen in freier Trägerschaft kritisch zu reflektieren.

Auch eine gewisse Selbstgenügsamkeit und Abschottung nach außen“ könne „zu einem Risikofaktor werden“. Sie sehen „generell bei privaten Schulen, die einen hohen elitären Selbstanspruch“ besäßen, „ein hohes Risiko für Übergriffe“. Wir müssen uns klarmachen, dass es Schulen ohne Gewalt nicht gibt – unabhängig von Ästhetik, Klientel und Schultyp. Wir sollten uns nicht von einer gewissen Ästhetik blenden lassen, sondern immer genau hinschauen, wie Strukturen und Machtverhältnisse aussehen und wie wir für Kinder da sein können.

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