Ökonom über Steuersystem: „Auch in der Mitte gibt es das Gefühl, es geht ungerecht zu“

taz: Herr Schick, Sie haben jahrelang als finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag gearbeitet. Mithilfe der Stimmen Ihrer Partei überwinden Union und SPD nun die Schuldenbremse im Grundgesetz und ermöglichen 1.500 Milliarden Euro neue Staatsschulden in zehn Jahren. Halten Sie das für eine gute Idee?

Gerhard Schick: Den Weg für zusätzliche Investitionen freizumachen, ist nötig. Wobei die konservative Seite eine richtige Frage stellt: Wer bezahlt das am Ende eigentlich? Wenn so hohe Kredite aufgenommen werden, steigen künftig die Zinskosten, die aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren sind. Unser Steuersystem ist allerdings so strukturiert, dass die Personen mit den größten Vermögen, beispielsweise Milliardärin und BMW-Miteigentümerin Susanne Klatten, einen recht bescheidenen Beitrag leisten. Jetzt während der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD wäre die richtige Zeit, die Lastenverteilung zu klären.

taz: Was wäre denn eine gute Verteilung?

Schick: Vorschläge dafür, wie das reichste eine Prozent der Bevölkerung beim Tragen der Krisenlasten einbezogen wird, liegen auf dem Tisch: Unsere Organisation Finanzwende fordert, dass die Privilegien bei der Erbschaftsteuer, die gerade die allergrößten Vermögen begünstigen, abgeschafft werden. Auch die Idee des Deutschen Gewerkschaftsbundes einer einmaligen Vermögensabgabe halte ich für richtig.

Gerhard Schick

ist Gründer und Co-Chef der Organisation Finanzwende, die für ein demokratisches und stabiles Finanzsystem eintritt. Von 2005 bis 2018 saß er für die Grünen im Bundestag, wo er maßgeblich den Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Steuerbetrug initiierte.

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taz: Die zusätzliche Zinsbelastung schätzt der Bundesrechnungshof auf 37 Milliarden Euro im Jahr 2035. Lässt sich ein so großer Betrag mit Steuern auf Kapitalvermögen hereinholen?

Schick: Alleine die Beendigung der höchsten Steuersubvention unseres Landes, die Ausnahmen bei der Erbschaftsteuer – erbrächte mindestens 5 Milliarden Euro mehr pro Jahr. So viel geht uns jährlich verloren, weil Superreiche Privilegien genießen. Das beträfe künftig auch Schenkungsfälle wie den von Springer-Chef Mathias Döpfner. Der hat für Aktien des Medienkonzerns im Wert von einer Milliarde Euro, die ihm Friede Springer geschenkt hatte, vermutlich fast keine Steuern gezahlt.

taz: Was sollte der Staat noch tun?

Schick: Zusätzlich sollte der Staat Steuerdelikte, die Investoren und Banken in großem Maßstab betreiben, konsequent verfolgen. Es ist doch absurd, dass illegale Gewinne von Banken durch CumCum-Geschäfte nicht zurückgefordert werden und Umsatzsteuerbetrug nicht systematisch bekämpft wird. Auch da geht es jeweils um zweistellige Milliardenbeträge.

taz: Solche Veränderungen sind schwer zu realisieren, weil immer eine unternehmensfreundliche Partei – bisher die FDP, jetzt wieder die Union – in der Bundesregierung sitzt.

Schick: Die Union hat sich immer als Partei der sozialen Marktwirtschaft verstanden. Wenn jetzt Oligarchen die Axt an Demokratie und Marktwirtschaft legen, dann muss das auch ein Thema für die Union sein. Und ich weiß, dass viele in der CDU das ebenfalls so sehen. Die zu große Kapitalkonzentration ist Gift für den Rechtsstaat und die Marktwirtschaft – wenn ein Milliardär wie Elon Musk zum Oligarchen mutiert, demokratische Verfahren und Gesetze untergräbt, wenn nicht mehr die Leistung über unternehmerischen Erfolg entscheidet, sondern die politische Macht. Auf diese Herausforderungen formulieren die demokratischen Parteien in Deutschland bisher keine relevanten Antworten.

taz: Solche Entwicklungen spielen sich in den USA ab. In Deutschland haben wir aktuell keine autokratische Regierung, die von Milliardären gestützt wird.

Schick: Die US-Oligarchen mischen mit ihren globalen Unternehmen auch in den europäischen Ökonomien mit. Und sie arbeiten daran, gerade im Finanzsektor Marktanteile zu gewinnen, beispielsweise mit den Bezahlsystemen Apple Pay und Google Pay. Elon Musk will mit seinem Netzwerk X ebenfalls in den Bereich der Finanzdienstleistungen vordringen. Die EU und die Bundesregierung sollten diesen Machtzuwachs der US-Tech-Unternehmen hierzulande verhindern, um unsere Demokratie und Marktwirtschaft zu schützen.

taz: Nun ist die hart rechte AfD – trotz exorbitanter Einzelspenden von Unternehmern – keine Oligarchenpartei. Allerdings hat sie bei der Bundestagswahl 20,8 Prozent der Zweitstimmen bekommen. Was sollte und könnte die neue Bundesregierung tun, um zu verhindern, dass diese Partei weiter an Einfluss gewinnt?

Schick: Die AfD-Spenden von Milliardären und die Unterstützung durch Musk sollten wir nicht unterschätzen. Die Parteien der Mitte müssen sich aber auch mehr damit beschäftigen, welche wirtschaftlichen Kräfte den Aufstieg der Rechten begünstigen. Zum Beispiel thematisiert die AfD die Inflation – den Kaufkraftverlust, den breite Schichten der Bevölkerung erleiden. Für die steigenden Mieten und niedrigen Löhne in der Pflege sind auch große Kapitalinvestoren wie die US-Firma Blackstone mitverantwortlich. Ihr Chef verdiente vergangenes Jahr über eine Milliarde Dollar, unter anderem mit Investitionen in Immobilien und Pflegeheime in Europa.

taz: Wesentliche Ursachen für die Inflation hierzulande waren nicht in erster Linie böse US-Milliardäre, sondern der russische Angriffskrieg und die Energiekrise. Auch deshalb wurden zu wenige Wohnungen gebaut, was wiederum die Mieten in die Höhe treibt.

Schick: Es gibt immer mehrere Gründe. Ich plädiere dafür, den Fokus darauf zu richten, wie in den vergangenen Jahrzehnten Umverteilung von unten nach oben stattgefunden hat, und wer davon profitiert. Das diffuse Ungerechtigkeitsgefühl, das viele Leute nicht genau zuordnen können, hat eine reale Basis, die wir in den Zahlen sehen. „Die Kleinen fängt man, die Großen lässt man laufen“ – dieser Satz unserer Geschäftsführerin Anne Brorhilker über Wirtschaftskriminalität löste vor einem Jahr eine große Resonanz aus. Die ehemalige Staatsanwältin für Steuerhinterziehung wechselte damals zu unserer Organisation Finanzwende. Offenbar hat auch die demokratische Mitte in unserem Land das Gefühl, dass es hier nicht mehr gerecht zugeht.

taz: Nimmt man den Rechten mit besserer Sozial-, Gerechtigkeits- und Verteilungspolitik wirklich Stimmen ab? Die AfD verfolgt doch selbst ein neoliberales bis rechtslibertäres Wirtschafts- und Sozialprogramm, das hohe Einkommen begünstigen würde. Und ihre Anhängerschaft scheint das zu goutieren.

Schick: Viele Bür­ge­r:in­nen sind enttäuscht und haben das Vertrauen in den Staat verloren. Kein Wunder: In den vergangenen 30 Jahren wurde unser Finanzsystem zugunsten der ganz Reichen umgebaut, die Steuersätze für große Vermögen und Einkommen sanken. Die Wut darüber mag paradoxerweise in die libertäre Haltung umschlagen, den Staat, der das zugelassen hat, zerstören zu wollen. Deswegen muss die neue Regierung zeigen, dass der Staat den Bür­ge­r:in­nen dient. Maßnahmen wie Steuerprivilegien für Superreiche abzuschaffen oder Steuerkriminalität konsequent zu verfolgen, haben das Zeug dazu, neues Vertrauen zu schaffen.

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