Gedankenverloren scrolle ich durch X. Ich bin schon dabei, mich gedanklich zu Bluesky zu verabschieden und gehe mehr aus nostalgischen Gründen durch meine Timeline. Vorbei sind die Zeiten von differenzierten Diskussionen, wir sind im Musk-Zeitalter, in dem Hass und Hetze herrschen. Doch was sehe ich da? Ein Bild von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Er und der Faschist Björn Höcke stehen dicht nebeneinander und lächeln gemeinsam in die Kamera, ein Bier in den Händen.
Meine Kinnlade klappt runter. SPD und AfD machen gemeinsame Sache? Das kann doch nicht wahr sein. Selbst die Brandmauer der CDU ist noch nicht gefallen, aber die der SPD? Haben die Sozialdemokrat:innen uns verraten? Ich will gerade die neuesten Pressemitteilungen durchsehen, da sehe ich den Fehler.
Es ist natürlich nicht Karl Lauterbach. Das X-Profil heißt „Gesundheitsminister Karl Kautabak“ und dahinter steht in Klammern „Satire.“ Auweia, ich bin reingelegt worden. Das Profilbild von Lauterbach und Kautabak ist zwar dasselbe, doch in der Profilbeschreibung von Kautabak steht „Bundeskrankheitsminister, der hier satirisch postet.“ Der Account kommuniziert seine Parodie also deutlich. Und doch wurde ich für ganze fünf Sekunden getäuscht. Das ist peinlich, nicht nur für einen Journalisten, sondern insbesondere für jemanden, der Medienkompetenz für wichtiger denn je hält.
Interessiert schaue ich mir den Herrn Kautabak genauer an. Ich stoße dabei auf eine Bubble aus Satire-Accounts, die sich in den letzten Jahren gebildet hat und reale Politiker:innen persifliert. Neben Lauterbach gibt es auch Parodie-Accounts, etwa zu Anton Hofreiter und Robert Habeck. Gleichzeitig verlinkt Kautabak reale Accounts, wie etwa den des AfD-Politikers Stephan Brandner.
Dazu finden sich in der parodistischen Timeline auch echte Bilder des Gesundheitsministers, die Kautabak als eigene ausgibt. Ich stoße auf Bilder, wie ein angeblicher Lauterbach mit Höcke Pizza isst, Christian Drosten inhaftiert, mit Anton Hofreiter angelt und sogar ein Video, wo er und Annalena Baerbock sich küssen. Die Medien sind mit Grok erstellt, der eigenen Bilder- und Chat-KI von Elon Musk, die seit einigen Monaten prominent auf X beworben wird.
Vor Falschinformationen nicht gefeit
Das alles wirkt absurd und doch frage ich mich, was passiert, wenn aus meiner fünfsekündigen Täuschung eine Minute oder gar eine Stunde wird? Ein einzelner Post ist schnell verbreitet. Nicht jeder verfügt über genügend Medienkompetenz, um solche Bilder, Videos und Accounts direkt als Fakes zu erkennen. Und spätestens mit dem Trump-Sieg ist an eine Regulierung von X nicht mehr zu denken.
Andererseits bin ich selbst darauf reingefallen, wenn auch nur für einen Moment. Doch einen solchen Moment der Schwäche darf man sich im Zeitalter der Fake News nicht mehr leisten. Wenn Karl Kautabak uns also eines zeigt, dann, dass wir vor Falschinformationen nicht gefeit sind, egal wie sehr wir es auch glauben.