Tagebuch aus Lettland: Kein Heim in der neuen Heimat

I ch bin ein unabhängiger belarussischer Journalist, und ich bin ein Flüchtling. Die belarusische Regierung hat mich aus meinem Heimatland herausgepresst wie den Korken aus einem Schaumwein. Es gibt mehr als 500.000 Menschen wie mich. Das entspricht etwa der Bevölkerung von Leipzig oder Essen.

Wir, die wir vor Alexandr Lukaschenkos Regime geflohen sind, leben nun in verschiedenen Teilen der Welt und haben Heimweh, es ist den neuen Ländern nicht einfach. Und dabei geht es nicht nur um Gefühle.

In meinem früheren Leben kannte ich einen Mann aus Belarus, der sich Chips in die Hände implantieren ließ, um keine Haus-, Garagen- oder Büroschlüssel dabei haben zu müssen. NFC-Sensoren von der Größe eines Reiskorns befanden sich unter der Haut zwischen Zeigefinger und Daumen seiner rechten Hand. Im Alltag sah das futuristisch aus: Ein Mann winkt mit der Hand, und ein elektronisch-mechanisches Schloss öffnet vor ihm die Tür.

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Einer Bekannten von mir, die immer wieder Lukaschenko kritisiert, wurde ihr Ferienhaus beschlagnahmt.

Das ist spektakulär, aber ich lebe lieber klassisch. Ich bin einer, der die Türen mit einem Schlüssel öffnet. Ich mag es auch, Schlüsselanhänger mit einem -bund zu kombinieren. Zum Beispiel habe ich im Moment einen Schlüsselanhänger, der wie die verkleinerte Kopie eines Minsker U-Bahnwagens wirkt. Es ist das Werk des im Exil lebenden belarussischen Künstlers Andrei Busel. Dessen neue Heimat befindet sich in Vilnius.

Ein Schlüssel, ein Anhänger, eine Wohnung

Der von Busel geschaffene Schlüsselanhänger erinnert mich an zu Hause. In meiner Heimatstadt Minsk habe ich noch eine Dreizimmerwohnung, in der wir mit meiner Familie gelebt haben. Nun wohnen wir in einer Stadt in Lettland. Wenn man mit Kindern in ein fremdes Land flieht, scheint der Umzug von einer Wohnung in eine andere nicht mehr ein so großes Abenteuer zu sein.

Vor zwei Jahren verabschiedeten die Machthaber in Minsk ein Gesetz, das den Umtausch von belarussischen Pässen in Botschaften und Konsulaten verbietet. Zugleich hat das Lukaschenko-Regime auch die Gültigkeit von Vollmachten aufgehoben. Sie wissen, wie sie Druck ausüben können.

Während Be­la­rus:­in­nen auf der Flucht sind, werden ihre Immobilien als Geiseln gehalten. Einer Bekannten von mir, die auf Facebook immer wieder Lukaschenko kritisiert, wurde kürzlich ihr Ferienhaus in der Nähe von Minsk beschlagnahmt.

In Lettland können wir frei atmen, sagen, was wir denken, und haben keine Angst, wenn jemand an die Tür klopft. Wir leben nun schon seit vier Jahren hier und haben uns gut eingerichtet. Wir sprechen Lettisch auf einem Grundniveau und machen uns mit den Gesetzen des Landes vertraut.

Kürzlich hat das lettische Parlament in erster Lesung einen Gesetzesentwurf gebilligt, der es Bür­ge­r:in­nen von Belarus und Russland verbietet, in Lettland Immobilien zu erwerben. Die zweite Lesung steht noch aus. Das ist es, was mich heute beunruhigt.

Einerseits habe ich nicht das Geld, um mir in Lettland eine Immobilie zu kaufen. Es ist wahrscheinlich möglich, sein ganzes Leben lang in gemieteten Wohnungen zu leben. Schließlich machen Millionen Menschen es so.

Aber die Situation ist so, dass meine Wohnung in Belarus als Geisel fungiert, während in Lettland dieses Gesetz verabschiedet wird. Ich werde also nie wieder eine Wohnung kaufen können, selbst wenn ich eine Million im Lotto gewönne.

Eine weitere Erinnerung daran, dass wir hier Gäste sind.

Kirill Turowski ist ein Journalist aus Belarus, er lebt derzeit im Exil in Lettland. Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.

Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.

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