D enk ich an Demut, denk ich an Priester in weißen Gewändern, die bäuchlings vor dem Altar einer Kirche liegen und den Teppich beschnuppern.
An was Annalena Baerbock („Demut vor der Aufgabe“), Armin Laschet („Demut in dieser entscheidungsreichen Zeit“) und all die anderen Politiker*innen denken, wenn sie Demut sagen – und sie sagen es ziemlich oft –, weiß ich nicht. Keinesfalls aber meinen sie damit, sich in den Staub zu schmeißen und auf Knien zu Kreuze, Wähler*innen oder Allgemeinwohl zu kriechen.
Demut hat in der politischen Betriebssprache mittlerweile ein Eigenleben bekommen, das reines Marketing geworden ist. Ursprünglich stammt es aus dem Mittelhochdeutschen, in dem die Dichter das Dienen meinten, wenn sie „diemüete“ sagten, aus dem sich „demütig“ entwickelte.
Natürlich wollen vor allem Politiker*innen so klingen, als würden sie dem Volk so ergeben dienen, wie sonst nur die Jünger ihrem Jesu. Denn Demut klingt einfach geil und nach dem Gegenteil von Ego, Narzissmus und Machterhalt.
Demut, is this you?
„Demut und Bescheidenheit sind für mich Begriffe, die zu Unrecht vollständig ausgestorben sind“, sagt Dieter Nuhr und liegt hier vollständig daneben. Es mag die Demut ausgestorben sein, der Begriff hingegen hat Hochkonjunktur.
Gleich zum Wahlkampfauftakt nach dem Bruch der Ampelregierung in diesem Jahr fand ein großes Demut-Battle statt: „Ich habe Demut vor der Größe der Herausforderung erfahren“, sagte Robert Habeck in seiner Bewerbungsrede als Kandidat für die Menschen in gewohnt leicht umständlichen Satz, der hier so klingt, als habe er ein religiöses Erweckungserlebnis gehabt und nicht schon vorher gewusst, dass Bundeskanzler als Vollzeitjob zu wählen, ziemlich ausfüllend ist.
„So sieht Demut nicht aus“, stänkerte anschließend Markus Söder über Habecks Kandidatur und hatte damit nicht ganz Unrecht. „Demut, is this you?“, fragt Ricarda Lang, seitdem Markus Söder auf Twitter unter Fotos vom CSU-Chef, in dem der Ostereier oder Pullover mit seinem Konterfei postet.
Schon 2011 erklärte Christian Lindner, nachdem die FDP mit 1,8 Prozent im Jahr 2011 aus dem Berliner Abgeordnetenhaus geflogen war: „Dieses Wahlergebnis nehmen wir in Demut auf“, um direkt hinterherzuschieben, dass die FDP in Regierungshandeln und bei der Euro-rettung keinen Korrekturbedarf sehe. Demut sieht anders aus, hätte Söder auch hier sagen können.
Fußball und Autozubehörbranche
Nach Medien und Politik kommen die Begriffe auch bald im Fußball an: „Wir sollten demütig sein, dass wir hier spielen dürfen“, sagt Aachens Trainer Heiner Backhaus.
Auch die Körperpflegebranche passt ihr Wording blitzschnell an, und so lässt der Fitnessforscher Marco Hoozemans wissen: „Ein wenig Demut vor dem Training würde vielen guttun.“ Freilich finden sich die Pioniere solcher Gedanken in der Unternehmensberatung: „Mit Demut zum Erfolg. Leadership im 21. Jahrhundert“ heißt das Buch der in dieser Branche tätigen Franziska Frank.
Die Kirche, aus deren Denkumfeld die Demut ursprünglich stammt – „In Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst“ (Phil 2,3) –, muss sich jetzt sputen, wieder Anschluss an den Diskurs zu finden. Die Pastorin Annette Behnken hat es geschafft und auch ein Buch veröffentlicht: „Demut – Hymne an eine Tugend“. Im Februar sprach sie das „Wort zum Sonntag“: „Wie großartig wäre es, wenn aus dem altmodischen Wort Demut eine angesagte Lebenshaltung würde.“
Da ist sie allerdings echt spät dran, denn Demut ist inzwischen sogar in der Autozubehörbranche angekommen. „Mit Demut und Service“ betreibt CEO Markus Winter seine Verkaufsplattform Kfzteile24. Es lebe die Demutkratie!“