Verfassungsschutz und AfD: Außen blau, innen braun

Berlin taz | Dennis Hohloch setzt sich, wenige Stunden nachdem seine Partei bundesweit als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, in ein Auto und dreht ein kurzes Video. Es gebe in diesem Land „Massenmigration, Gruppenverwaltigungen, terroristische Angriffe, Gewalt an Schulen“, sagt der AfD-Bundesschriftführer, der auch im Brandenburger Landtag sitzt, in die Kamera. Und was tue die Regierung? Sie gehe „voll mit dem Knüppel auf die Opposition los“. Aber er sei nicht bereit, „auch nur einen Millimeter zurückzuweichen“, betont der 36-Jährige. Er werde „weiterkämpfen“. Sein Blick verharrt in Richtung Kamera. „Und ich hoffe, du auch.“

Es sind Reaktionen wie diese, die in der Partei nach ihrer Einstufung als gesichert rechtsextrem dominieren. Am Freitag vor einer Woche hatte die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Hochstufung der AfD verkündet, als ihre letzte Amtshandlung. Vier Tage zuvor hatte ihr das Bundesamt für Verfassungsschutz ein 1.100-seitiges Gutachten vorgelegt. Mit Hunderten Belegen verfassungsfeindlicher Aussagen von AfD-Funktionären, auch solchen von Dennis Hohloch, angesammelt vom 22. Februar 2021 bis zum 25. April 2025.

Die Reaktion der Partei: Abwehr und Wut. Man werde als Oppositionspartei „diskreditiert und kriminalisiert“, schimpften die Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla. Abgeordnete ätzten von der „letzten Patrone der Etablierten“.

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke schrieb von einer „Zerstörung der deutschen Demokratie durch den Geheimdienst“. Und drohte dortigen Mitarbeitenden, sich besser einen neuen Job zu suchen, sonst werde es heißen: „Mitgehangen, mitgefangen.“ Später löschte Höcke das Posting.

Bisher bekam der Verfassungsschutz vor Gericht stets Recht

Bereits kurz nach der Entscheidung reichte die AfD Klage ein, auf 195 Seiten. Der Tenor: Der Verfassungsschutz sei politisch instrumentalisiert, die Vorwürfe übertrieben. Am Donnerstag dann gab das Bundesamt eine „Stillhaltezusage“: Bis zur Entscheidung des Gerichts werde man die Hochstufung der AfD vorläufig aussetzen und die Partei nicht öffentlich als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnen. Gleiches war auch bei der Einstufung als Verdachtsfall geschehen. Am Ende bekam bisher das Amt vor Gericht stets recht.

In der AfD wurde der Schritt dennoch gefeiert. Er sehe keinerlei Anlass, etwas zu ändern, hatte Parteivize Stephan Brandner schon zuvor der taz gesagt – die AfD sei ja nicht radikal. Die hohen Umfragewerte zeigten, dass man auf dem richtigen Kurs sei.

In der AfD verließ einzig der neu gewählte Bundestagsabgeordnete Sieghard Knodel aus Baden-Württemberg die Fraktion mit Verweis auf die Einstufung. Er wolle sein „privates und geschäftliches Umfeld schützen“. Sein Mandat wolle er behalten. Innerhalb der AfD wird er nun als „Mandatsritter“ gebrandmarkt, sein Austritt sei „schäbig“, heißt es aus Fraktionskreisen.

Hinter den Kulissen aber sorgen sich viele Be­am­t*in­nen mit AfD-Parteibuch nun um ihren Beruf oder fürchten Disziplinarverfahren, weil sie als Staats­die­ne­r*in­nen einer Pflicht zur Treue gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterliegen. Dieser Pflicht steht die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Partei diametral entgegen. Allein in der Bundestagsfraktion haben mehr als 30 von 152 Abgeordneten für den Staat gearbeitet, darunter Polizisten, Soldaten, Lehrer, Angestellte im öffentlichen Dienst. Bereits am Wochenende nach der Einstufung gab es Austritte, wie aus Parteikreisen zu hören ist – wie viele, will die Partei auf Anfrage nicht verraten. Berichtet wird stattdessen von 1.000 trotzigen Neueintritten. Überprüfen lassen die Zahlen sich nicht.

Vor allem für Funktionäre wie Dennis Hohloch könnte es ungemütlich werden. Denn der Brandenburger ist Lehrer und unterrichtete Geschichte. Und auf gleich mehrere seiner Aussagen stützt der Verfassungsschutz sein Gutachten. Multikulti bedeute „Verlust der Heimat, Mord, Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigungen“, wird er dort etwa zitiert. „Den Herrschenden“ warf er vor, das „Wahlvolk auszutauschen“ – ein rechtsextremer Verschwörungsmythos. Den Assad-Sturz in Syrien bezeichnete er als „schweren Rückschlag für die heimische Messerindustrie“.

Der Blick richtet sich auch auf Bundeswehrangehörige wie den AfD-Bundesvorstand Hannes Gnauck. „Es gehört mehr dazu, Deutscher zu sein, als einfach nur ’ne Staatsbürgerurkunde in der Hand zu haben“, wird Gnauck im Gutachten zitiert. Auch raunte der 33-Jährige von einem „Bevölkerungsaustausch“, forderte eine „stringente Remigration“ und nannte die Union „Vaterlandsverräter“. Seine Obergrenze für Asylsuchende liege bei „minus einer halben Million im Jahr“.

Inzwischen erklärte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU), AfD-Funktionäre im Schul- oder Polizeidienst in den Blick zu nehmen, Entlassungen seien nicht ausgeschlossen. Ähnlich äußerte sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Übernahme in Beamtendienst „deutlich unwahrscheinlicher“

Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbunds, betonte, es brauche eine Einzelfallprüfung. Für Bewerber*innen, die AfD-Mitglied seien, sei eine Übernahme in den Beamtendienst bereits jetzt „deutlich unwahrscheinlicher geworden“ – brauche es doch ein dauerhaftes Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung. „Ob dieses gegeben ist, dürfte gerade angesichts der zunehmenden Radikalisierung der AfD in den letzten Jahren nun durch die Dienstherrn zunehmend in Frage gestellt werden.“

Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sieht für Po­li­zis­t*in­nen durch die Einstufung keine unmittelbaren Auswirkungen, anders als bei einem Parteiverbot. Sie werde aber „mittel- bis langfristig Auswirkungen auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben, insbesondere auf Polizeibeschäftigte“. Denn diese seien durch ihre verfassungsrechtliche Treupflicht verpflichtet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv zu schützen. Kopelke fordert deshalb „ein abgestimmtes Vorgehen der Innenminister auf Bundes- und Länderebene“.

Der Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, nennt die Hochstufung „überfällig“. Sie erleichtere es, AfD-Funktionären „die Teilnahme an Veranstaltungen in den Gedenkstätten zu versagen, um der Normalisierung keinen Vorschub zu leisten“. Auch sei es Angehörigen von NS-Verfolgten nicht zuzumuten, hier neben Rechtsextremen zu sitzen, die das Leiden der NS-Verfolgten „kleinreden oder sogar leugnen“.

Die Chefin der Bildungsgewerkschaft GEW, Maike Finnern, sah schon vor der AfD-Hochstufung eine „Handlungsnotwendigkeit“, wenn Lehrkräfte „im Unterricht Positionen vertreten, die der demokratischen Grundordnung widersprechen“. Einen Generalverdacht gegen Leh­re­r*in­nen mit Parteibuch hält sie zwar für „nicht zielführend“. Aber es brauche Einzelfallprüfungen und systematische Beschwerde- und Meldeverfahren sowie Präventions- und Interventionskonzepte. Politik und Verwaltungen müssten den Schulen einen Handlungsrahmen geben, damit diese „Klarheit haben, wo rote Linien sind“.

Die Einstufung setzt auch die gerade erst vereidigte Bundesregierung unter Druck. Denn nun muss die schwarz-rote Koalition entscheiden, was auf die Einstufung folgt, wie sie mit der größten Oppositionspartei umgeht, die als amtlich beglaubigt rechtsex­trem verkündet wurde. Einheitlich sind die Antworten der Koalitionäre bisher nicht.

Die Union bremst in der Bundesregierung

Für ein wenig Aufatmen in der AfD sorgte die Ankündigung des neuen Bundesinnenministers Alexander Dobrindt (CSU), dass es keine pauschalen Konsequenzen für Beamte mit AfD-Parteibuch geben werde. Geprüft werde der Einzelfall. Noch in den Koali­tions­verhandlungen hatte die Union versucht, die Verschärfung des Diszi­plinarrechts – um extremistische Beamte aus dem Dienst zu entfernen – zurückzunehmen. Die SPD hielt dagegen, nun soll es evaluiert werden. Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) sagte der taz, einen „neuen Radikalenerlass“ wie 1972 werde es im Freistaat nicht geben. Ein AfD-Verbot sehen Dobrindt, Neu-Kanzler Friedrich Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) ohnehin kritisch, ebenso einen Entzug der Parteienfinanzierung.

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Schon in Kürze wird sich Dobrindt dazu verhalten müssen, wenn er die Zahlen zur politischen Kriminalität vorstellt. Die Zahl rechtsextremer Straftaten stieg zuletzt stark an

Also bleibt die Mitgliedschaft in der rechtsextremen Partei ohne Konsequenzen? Schon in Kürze wird sich Dobrindt dazu verhalten müssen, wenn er die diesjährige Statistik zur politischen Kriminalität vorstellt. Erwartet wird ein neuer Höchststand. Die Zahl rechtsextremer Straftaten stieg letzthin stark an, auch befeuert durch AfD-Parolen.

Die neue Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) erklärte immerhin, man müsse gegen Verfassungsfeinde vorgehen. Auch die Frage eines AfD-Verbots werde sie „massiv beschäftigen“. Eine Sprecherin von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) betonte, dass die Einstufung Auswirkungen auf die Sicherheitsüberprüfung von Bundeswehrangehörigen habe. Eine solche Einstufung führe immer „zur Aufnahme einer Verdachtsfallbearbeitung des MAD“. Auch hier aber werde im Einzelfall entschieden. Ziel sei es, „Personen mit extremistischen Einstellungen oder fehlender Verfassungstreue von der Bundeswehr fernzuhalten“.

Die Diskussion wird nicht zum ersten Mal geführt. Schon der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) ließ 2019 ein Gutachten anfertigen, wie mit extremistischen Beamten umzugehen sei. Anlass war die Einstufung der AfD als Prüffall. Das Ergebnis auch da: Die reine Mitgliedschaft reicht nicht für einen Rauswurf aus. Im gleichen Jahr gründete die AfD eine Arbeitsgruppe, um eine Höherstufung zu umgehen. Den Mitgliedern wurde geraten, auf „Reizwörter“ wie „Umvolkung“ oder „Überfremdung“ zu verzichten. Die Appelle verpufften. Heute gehören diese Wörter zum Parteijargon – und finden sich nun als Belege im Verfassungsschutzgutachten.

AfD aktualisiert Handreichung für Mitglieder

Um die Be­am­t*in­nen in der Partei zu beschwichtigen, hat der Bundesvorstand nun eine Handreichung zu den „Folgen einer Einstufung der AfD als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ “ aktualisiert. In dem der taz vorliegenden Dokument heißt es: „Ich bin im öffentlichen Dienst – muss ich mir Sorgen machen?“– „Nein“, lautet die Antwort. Beamte, Soldaten und Angestellte des öffentlichen Diensts könnten nach wie vor nicht wegen einfacher Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei aus dem Dienst entfernt werden.

Eine Tätigkeit in herausgehobener Stellung könne aber durchaus als Verletzung der Pflicht zur Verfassungstreue beurteilt werden, heißt es weiter. Die Handlungsempfehlung: Man solle auf persönliche Angriffe verzichten, mit Äußerungen im verfassungskonformen Bereich bleiben und sich von verfassungsfeindlichen Beiträgen distanzieren. Wer ein Vorstandsamt bekleide, solle es dazu nutzen, „bei Bedarf mäßigend auf andere einzuwirken“ und seine politische Einstellung aus der beruflichen Tätigkeit heraushalten.

Das bringt die Be­am­t*in­nen in der Partei in die Situation, dass sie sich im Grunde von weiten Teiles des Bundesvorstands distanzieren müssten. Ein Großteil der im Gutachten enthaltenen rassistischen, antimuslimischen und völkischen Aussagen geht auf namhafte Funktionäre zurück, darunter auch fast alle aktuellen Bundesvorstandsmitglieder.

Waffenentzüge könnten leichter werden

Und einige rechtliche Folgen könnten schnell sichtbar werden. So war zuletzt vor Gericht umstritten, ob AfD-Leuten allein aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft Waffenerlaubnisse entzogen werden können. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen etwa hob gerade erst eine solche Entscheidung für ein AfD-Ehepaar auf, das ihre mehr als 220 Waffen abgeben sollte: Die Zugehörigkeit zu einer nur als Verdachtsfall eingestuften Partei begründe noch keine Unzuverlässigkeit, so die Richter. Anders sehe es aus, wenn die Partei gesichert rechtsextrem wäre – was sie nun ist.

Trotz der Einstufung durch das Bundesamt zögern einige Verfassungsschutzämter der Länder. Nur Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten die AfD bisher als gesichert rechtsextrem eingestuft. Man prüfe nun erst mal das Gutachten des Bundesamts, heißt es aus den anderen Landesämtern. Einzig Brandenburg zog nach und verkündete am Mittwoch die Hochstufung – allerdings denkbar holprig. Der Schritt war von Verfassungsschutzchef Jörg Müller schon länger geplant und wurde am Ende offenbar gegen den Willen von Innenministerin Katrin Lange (SPD), einer Parteirechten, durchgezogen – die Müller daraufhin entließ.

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) kündigte nun an, dass die AfD-Einstufung ein Schwerpunkt auf der nächsten Innenministerkonferenz sein werde – Bremen ist dann Gastgeber. Das Bundesland drängt zudem mit einem Dringlichkeitsantrag auf ein AfD-Verbotsverfahren und will dazu eine Bundesratsinitiative starten. Zumindest Schleswig-Holstein zeigt sich dafür offen.

AfD-Mann Dennis Hohloch gibt sich dennoch siegesgewiss. Ein AfD-Verbot werde nicht kommen, erklärte er am Dienstag. Sein Blick richtet sich bereits auf die Landtagswahl 2026 in Sachsen-Anhalt, wo die AfD zuletzt bei der Bundestagswahl abräumte. „AfD heute gesichert rechtsextrem“, erklärte er in einem Onlineposting. „Und nächstes Jahr in der Regierung.“

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