Verkehrsranking: Das sind die Stau-Städte

Berlin taz | Donald Trump will sie wieder abschaffen, der Nachbarstaat New Jersey hatte sie noch bis vor wenigen Tagen gerichtlich verhindern wollen. Doch seit vergangenem Sonntag ist die Citymaut von New York in Kraft, es ist die erste ihrer Art in den USA. Wer tagsüber mit dem Auto in den zentralen Bereich Manhattans südlich der 61. Straße fährt, muss zwischen 2,25 und 9 US-Dollar zahlen. Das soll Stop-and-go beseitigen, Luft- und Lebensqualität verbessern – und Milliarden für den Personennahverkehr in der größten US-Stadt einspielen.

Die Maßnahme scheint dringend notwendig. Denn New Yorker AutofahrerInnen vertrödeln jährlich 102 Stunden im Stau – etwa zweieinhalb Arbeitswochen. In westlichen Ballungsräumen ist der Zeitverlust durch zu viel Blech nur in Istanbul mit im Schnitt 105 Stunden Zeitverlust größer – die türkische Metropole schob sich damit auf Platz 1 eines Stau-Rankings des US-Verkehrsdatendienstleisters Inrix, der 940 Metropolen untersucht hat.

Deutsche AutofahrerInnen standen 2024 im Schnitt 43 Stunden im Stau, 3 mehr als im Vorjahr

London kommt als erste europäische Stadt mit 101 Stunden Zeitverlust im Stau auf Platz 5, in Paris leiden PendlerInnen im Schnitt 97 Stunden in stehenden Autos – weltweit Platz 6. Im Vergleich dazu und zu Metropolen wie Mexiko-Stadt, Chicago oder Kapstadt kämen deutsche PendlerInnen „sogar relativ zügig ans Ziel“, teilte Inrix mit. Sie warteten im Schnitt „nur“ 43 Stunden im Stau, 3 mehr als im Vorjahr.

Als deutsche Staustadt Nummer 1 schob sich Düsseldorf in dem Ranking vor Berlin. AutofahrerInnen in der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen vertändelten im Schnitt 60 Stunden in ihren Pkws, zwei mehr als in Berlin. Als Ursache verweist Inrix unter anderem auf „zahlreiche Baustellen“ auf Autobahnen rund um Düsseldorf. Auf den Warte-Plätzen: Stuttgart mit 58 Stunden Zeitverlust, Köln (56) und München (55). Der staureichste Straßenabschnitt Deutschlands lag laut Inrix in Duisburg auf der A3 in nördlicher Richtung vom Stockweg zur A40.

Rückkehr zur „Normalität“ nach der Coronapandemie

Das Verkehrsaufkommen habe 2024 weltweit zugenommen, da Arbeitnehmer in den USA und Westeuropa ins Büro zurückgekehrt seien und die Spritpreise sanken, so Inrix. Die Rückkehr zur „Normalität“ nach dem Ende der Coronapandemie zeigten laut Inrix auch Daten „insbesondere aus techniklastigen US-Ballungsräumen wie San Jose, San Francisco und ­Seattle“. Dort sei die Nutzung aller Verkehrsmittel 2024 „stark gestiegen“ – liege aber immer noch unter dem Niveau vor Covid.

Allerdings sind die von Navigationsgeräten gewonnenen Daten nicht unumstritten: Während sich Inrix auf taz-Anfrage nicht weiter zur Methodik seiner Untersuchung äußert, hält Verkehrsexperte Andreas Knie die Analyse für unzutreffend. „Wir stellen seit 2016 in den Städten eine tendenziell abnehmende Verkehrsleistung fest“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Diese sinke seitdem in den Metropolen jedes Jahr im Schnitt um etwa 1 Prozent, so Knie. Kai Nagel, Professor des Lehrstuhls „Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik“ an der Technischen Universität Berlin, findet die Daten auf taz-Nachfrage hingegen plausibel.

Einig sind sich die Experten nur darin: Es ist derzeit politisch schwer, Einschränkungen für den Individualverkehr durchzudrücken. Die Grünen knabberten bis heute an der 1998 von ihnen angezettelten Diskussion um 5 Mark für einen Liter Benzin, sagt Knies WZB-Kollege Weert Canzler. „Das Auto ist seitdem an seinem eigenen Erfolg erstickt“, betont Canzler.

Nicht nur der Klimawandel, auch der demografische Wandel erzwängen geradezu eine ökologischere Verkehrspolitik: „Ältere wünschen sich einen verkehrsberuhigten Nahbereich“, so Canzler. Die Entsieglung von Parkplätzen oder Straßen sei die logische Folge. Auch wenn solche Maßnahmen meist umstritten seien, gelte die Regel: „Wer den Fahrradverkehr fördert, macht es auch für Autofahrer leichter.“ Also: Weniger Großstadtstau durch mehr Zweiräder bedeute auch weniger Protest gegen verkehrsberuhigende Maßnahmen.

  • informationsspiegel

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