Visuelle Gewalt der Rechten: Zynismus und lustvolle Unmoral

E ntschlossen steht sie da, figur­betontes weißes Oberteil, sorgfältig gestylte Haare, Rolex ums Hand­gelenk, ­harter Blick – vor inhuman überfüllten ­Gefängniszellen. Hinter den Gittern sind dicht gedrängte Männerkörper zu sehen, die Haare geschoren, manche tätowiert, viele mit ­nacktem Oberkörper, auf Betten ­übereinander gestapelt. Das Ende März ­veröffentlichte und seitdem viel diskutierte Video von Kristi Noem, der Ministerin für Innere ­Sicherheit der USA, trägt eine furchteinflößende ­Drohung an ­Migranten: „Geht jetzt, oder ihr landet hier.“

Bewusst spielt sie als Frau dabei auch mit ­erotischen Macht­assoziationen und ­Dominanzfantasien. Un­weigerlich muss man wahlweise an die Konzentrationslager der NS‑Zeit oder ­Lynndie England im Abu-Ghraib-Gefängnis denken – Dutzende Memes gingen diesen Assoziationen nach.

Was das Video so erschütternd macht, ist die Tatsache, dass nicht einmal versucht wird, die Unmenschlichkeit zu verbergen. Die Gewalt trägt keine Maske mehr. Die moralische Grenzüberschreitung wird nicht kaschiert – sondern sogar zelebriert. Denn Noem hat dieses Video nicht nur zur Abschreckung gepostet. Sie präsentiert es vor allem ihren eigenen Anhängern als Einladung, sich an der Härte und Entwürdigung visuell zu berauschen – vor den Augen der Öffentlichkeit.

In dem Gefängnisvideo zeigt sich ein Zynismus, wie ihn Peter Sloterdijk bereits 1983 in seiner „Kritik der zynischen Vernunft“ als Bewusstseinszustand der 1920er und 30er Jahre beschrieben hat: „als aufgeklärtes falsches Bewusstsein“. So traurig wie besorgniserregend es auch sein mag: Erst heute scheint der Höhe­punkt zynischer Vernunft erreicht. Sloterdijks Buch ist eine der treffendsten Beschreibungen unserer Gegenwart – fast 50 Jahre nach seinem Erscheinen.

Soziale Medien geben dem Zynismus eine Bühne

Warum? Soziale Medien haben dem Zynismus eine neue Bühne gegeben. Sie befeuern ihn durch die Verkürzung komplexer Themen auf plakative Bilder, die algorithmische Belohnung polarisierender Inhalte und die Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Informationen, was Maßstäbe relativiert und entsprechend Demoralisierung befördert.

Noems Video nutzt diese Mechanismen perfekt. Es reduziert das komplexe Thema Migration auf ein einfaches Bild von Inhaftierung, polarisiert durch unverhohlene Instrumentalisierung menschlichen Leids und normalisiert eine Kommunikationsform, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Auf den ersten Blick schien unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren eine moralische Wende zu vollziehen. Themen wie Inklusion, Diversität und Klimaschutz dominierten den öffentlichen Diskurs. Doch parallel dazu hat sich eine Gegenbewegung formiert, die sich bei aller Heterogenität in ihrer zynischen Verweigerung manifestiert.

Linke sind in den Augen der Rechten „Moralisten“

Der moderne politische Zynismus, wie er im Gefängnisbild virulent wird, lehnt jede Moral demonstrativ ab, indem Tabus verletzt werden. „Keep posting it. Leftists hate this video so much“, kommentierte ein X-User den Post von Noem. Hier wird deutlich, was viele Rechte unter „Leftists“ eigentlich verstehen: nämlich Moralisten. Gegen solche gehen sie als Zyniker mit ihrer enthemmten Unmoral in Stellung.

Problematisch am digitalen Zynismus ist aber auch: Er ist im Kern kommunikationsverweigernd. Das Video ist keine Einladung zum Gespräch, sondern lediglich zur Reaktion. Die ausgelösten Reaktionen mögen entweder empört oder zustimmend sein, ein Austausch wird daraus nie entstehen. Die Botschaft des Gefängnisbildes lautet nicht: „Lasst uns über Migrationspolitik diskutieren“, sondern: „So sieht unsere Härte aus – seid beeindruckt oder entsetzt.“

Die sozialen Medien haben neue Möglichkeit zum Dialog geschaffen. Der digitale Zynismus nutzt die Infrastruktur paradoxerweise dazu, um genau diesen Dialog zu unterlaufen. Er täuscht Kommunikationsbereitschaft vor, während er tatsächlich nur Reaktionen provoziert – eine perfide Weiterentwicklung des Zynismus im digitalen Zeitalter.

  • informationsspiegel

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