
Heute seien deutlich mehr Menschen da als sonst, so Yinhar. Denn es scheint Bewegung in die Diskussion um deutsche Waffenlieferungen nach Israel zu kommen. Tatsächlich kritisierte Bundeskanzler Friedrich Merz, CDU, die israelische Regierung am Montag erstmals scharf und in aller Öffentlichkeit. „Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen“, sagte er. Wenn das humanitäre Völkerrecht „jetzt wirklich verletzt wird“ müsse auch der deutsche Bundeskanzler etwas dazu sagen, befand er.
Auch Außenminister Johann Wadephul, ebenfalls CDU, fand am Montag ungewöhnlich klare Worte: Eine Vertreibung aus dem Gazastreifen und eine Politik des Aushungerns dürfe es nicht geben. „Niemand sagt, dass die jetzige Situation akzeptabel ist und länger hingenommen werden könnte. Auch Deutschland nicht“, so der Außenminister.
Bisher hatte sich Deutschland mit Kritik an Israels Kriegsführung extrem zurückgehalten und das Vorgehen der israelischen Armee unterstützt, auch mit Waffen. Im vergangenen Jahr genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte nach Israel im Wert von 161 Millionen Euro, in den ersten drei Monaten diesen Jahres im Wert von 28 Millionen Euro.
Strenge Bedingungen für Waffenlieferungen
Könnte aus der nun verschärften Rhetorik des Kanzlers und des Außenministers ein Stopp der Waffenlieferungen nach Israel folgen? Entscheiden kann das einzig der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagender Ausschuss mehrerer Minister unter der Leitung des Kanzlers. Alle Waffenexporte in andere Länder müssen von ihm abgesegnet werden. Aber dafür gibt es Bedingungen: Wenn ein überwiegendes Risiko besteht, dass die Waffen zur Begehung schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht eingesetzt werden, dürfen keine Genehmigungen zur Ausfuhr erteilt werden. Dem hat sich Deutschland nach internationalem Recht verpflichtet. Doch alles deutet im Fall von Israel darauf hin.
„Die derzeitige Beweislage ist erdrückend: Zahlreiche internationale Gerichte, UN-Organe und Menschenrechtsorganisationen kommen zu dem Schluss, dass Israel im Gazastreifen systematisch gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt – unter anderem durch Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur, die Kriegsverbrechen darstellen“ sagt Alexander Schwarz, Jurist und Mitglied des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). „Ich bin mit solchen Einschätzungen in der Regel sehr vorsichtig – aber in diesem Fall ist die Eindeutigkeit der Lage kaum zu überbieten“, so Schwarz weiter.
„Deutschland macht sich mitschuldig“
Bundeskanzler Merz sagte am Montag, wenn das humanitäre Völkerrecht verletzt werde, müsse auch der deutsche Bundeskanzler etwas dazu sagen. Doch nach internationalem Recht muss er vor allem etwas tun: Die Waffenlieferungen stoppen. „Israel begeht Kriegsverbrechen, die Bundesregierung weiß davon und liefert trotzdem Waffen, die für die Durchführung ebendieser Kriegsverbrechen genutzt werden“, so Schwarz. Deutschlands Rüstungsunternehmen seien exklusive Lieferanten für bestimmte Getriebeteile des Merkava-Panzer, der nachweislich in Gaza zum Einsatz komme. „Deutschland macht sich mitschuldig“, so der Rechtsanwalt.
Mit dem ECCHR klagt er vor Verwaltungsgerichten in Deutschland im Namen mehrerer palästinensischer Mandaten in Gaza, um einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen nach Israel zu erreichen. „Viele unserer Mandanten haben fast ihre gesamten Familien verloren und wir müssen täglich damit rechnen, dass auch sie selbst nicht überleben“ so Schwarz. In den Klagen beruft sich das ECCHR auf ihr Recht auf Leben, das durch Deutschlands Handlungen konkret gefährdet werde.
Merz könnte sich strafbar machen, wenn weiter Waffen geliefert werden
Neben den fatalen Folgen für die Menschen in Gaza könnten anhaltende Waffenlieferungen aus Deutschland nach Israel auch direkte, strafrechtliche Konsequenzen für Kanzler Merz und den Rest des Sicherheitsrates haben.
„Politiker können sich individuell wegen Beihilfe zu völkerrechtlichen Verbrechen strafbar machen“, so Jurist Schwarz. Dies gelte insbesondere für Beamte, die als Mitglieder des Bundessicherheitsrats Rüstungsexportentscheidungen treffen. Ihre Strafbarkeit hänge davon ab, ob sie ihren Pflichten zur Risikobewertung nachgekommen sind und welche subjektive Kenntnis sie hatten. „Wenn sie etwa eine Risikoabwägung unterlassen oder Völkerrechtsverstöße billigend in Kauf genommen und trotzdem Waffenlieferungen genehmigt haben“, so Alexander Schwarz. Organisationen wie das ECCHR können bei einem solchen Verdacht Strafanzeigen gegen die verantwortlichen Politiker stellen und die Bundesanwaltschaft müsste gegen sie ermitteln.
Es ist denkbar, dass Merz auch deswegen als Regierungschef andere Töne anschlägt. Als Oppositionsführer hatte er noch lautstark Waffenlieferungen nach Israel gefordert – aber damals hätte er auch nicht für sie belangt werden können. Jetzt sitzt er am Hebel.
Viele fordern ein Stopp von Waffenexporten nach Israel
Ob es nun wirklich bald zu einem Stopp der Exporte kommen wird, ist bisher unklar. Die Regierung hat trotz der verschärften Rhetorik einiger ihrer Mitglieder bisher nichts dergleichen angekündigt. Vielmehr verteidigte Wadephul deutsche Waffenlieferungen nach Israel noch am Montag. Wie gewohnt mit einem Verweis auf Deutschland besondere Verpflichtung zu Israels Sicherheit, der Staatsraison. „Wir nehmen die Worte in der Politik wahr“, so Yehudit Yinhar von den Israelis for Peace. „Und wir fordern, dass daraus Taten folgen. Aber wir machen uns da keine großen Hoffnungen.“
Doch die Forderung, Waffenexporte nach Israel zu stoppen, erheben nicht nur die Protestierenden vor dem Auswärtigen Amt. Sie kommt mittlerweile aus weiten Teilen der Gesellschaft und auch vermehrt aus der Spitzenpolitik. Laut einer Civey-Umfrage für den Tagesspiegel hält jeder zweite Deutsche die Lieferungen mittlerweile für falsch. Zuletzt forderten auch einzelne Bundestagsabgeordnete der SPD, also von einer der beiden Regierungsparteien, Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen.







