Studie zu Bürgergeldempfängern: Leben in ständiger Unsicherheit

Berlin taz | Auf Essen verzichten, damit die Kinder satt werden – das ist eine Realität, mit der über die Hälfte der Bürgergeldempfänger leben muss. Das ergab eine Studie des Vereins Sanktionsfrei.

Gemeinsam mit dem Umfrageinstitut Verian befragte er dafür 1.014 Bürgergeldbezieher im Alter von 18 bis 67 Jahren zu ihren Lebensverhältnissen. Fast drei Viertel der Befragten erklärten, der Regelsatz von 563 Euro im Monat reiche nicht, um in Würde zu leben. Nur etwas mehr als die Hälfte sagte, dass in ihrem Haushalt alle genug zu essen hätten. Ein Drittel verzichtet auf Nahrung, um andere Grundbedürfnisse zu erfüllen.

Bei der Vorstellung der Studie am Montagvormittag spricht auch Thomas Wasilewski. Er und seine Familie leben vom Bürgergeld: „Unser Leben findet in ständiger Unsicherheit statt. Es reicht kaum für die nötigsten Nahrungsmittel und auch der Schulalltag ist dadurch für unsere Kinder besonders schwer“, sagt er. Wie 77 Prozent der Teilnehmenden der Studie empfindet er seine finanzielle Lage als psychisch belastend. „Diese Stimme im Kopf ist immer präsent: Wie soll es morgen weitergehen? Das zerfrisst die Seele“, sagt er. „Es ist unerträglich zu erleben, wie meine Söhne leiden, weil ihnen das Allernötigste fehlt.“

Während in der öffentlichen Debatte immer wieder die Arbeitsbereitschaft von Bürgergeldempfängern in Zweifel gezogen wird, gaben 74 Prozent der Befragten in der Studie an, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu wollen. Doch nur etwa ein Viertel äußerte sich zuversichtlich, eine Stelle zu finden, die ihnen das ermöglicht. Für 59 Prozent stellen körperliche Einschränkungen und für 57 Prozent psychische Erkrankungen dabei Hindernisse dar. Das Jobcenter sei nur bedingt hilfreich.

Angst vor Obdachlosigkeit

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, das Bürgergeld abzuschaffen und eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende einzuführen. Ziel sei es zwar auch, „Vermittlungshürden“ abzubauen und die „besondere Situation“ psychisch Erkrankter zu berücksichtigen. Gleichzeitig sollen Sanktionen schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden – bis hin zum vollständigen Leistungsentzug für Menschen, die arbeiten können und „wiederholt zumutbare Arbeit verweigern“.

Helena Steinhaus, Vorstand von Sanktionsfrei, kritisiert die Pläne: „Über die Hälfte der Eltern müssen regelmäßig auf Essen verzichten, damit ihre Kinder satt werden. Da läuft etwas grundlegend falsch.“ 72 Prozent der Teilnehmenden gab an, Angst vor Leistungskürzungen zu haben. Die am häufigsten geäußerte Befürchtung der Befragten, was das bedeuten könnte: Obdachlosigkeit.

„Das Bürgergeld kürzen oder abschaffen zu wollen, ist ein gefährlicher Irrweg“, warnt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der die Studie am Montag mit vorstellte. Kürzungen würden die soziale Teilhabe noch weiter reduzieren und es Betroffenen noch schwieriger machen, wieder einen Job zu finden. Das sei nicht nur für sie, sondern auch für Unternehmen, Gesellschaft und Sozialstaat kontraproduktiv, sagt er.

Tatsächlich fühlen sich laut der Studie schon jetzt nur 12 Prozent der Bürgergeldempfänger in der Studie der Gesellschaft zugehörig. 42 Prozent äußerten, sich für den Bezug von Bürgergeld zu schämen. Und 80 Prozent gaben an, es mache ihnen Angst, wie manche Politiker über Menschen mit Bürgergeld sprechen. „Sanktionsfrei“ fordert einen monatlichen Regelsatz von 813 Euro, die Abschaffung von Sanktionen und den Fokus auf Weiterbildung statt auf Arbeitsvermittlung zu richten.

  • informationsspiegel

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